Reutlingen · Betrug

Abzocke beim Kampf gegen die Wespen

Dubiose Unternehmen geben im Internet vor, Experten aus der Nähe zu sein. Kunden müssen aber horrende Anfahrtskosten bezahlen. Verbraucherschützer empfehlen, das Impressum anzuschauen.

27.07.2020

Von Raimund Weible

Unter Umständen nicht ganz günstig: Ein Schädlingsbekämpfer spritzt Insektizid in ein Wespennest. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Unter Umständen nicht ganz günstig: Ein Schädlingsbekämpfer spritzt Insektizid in ein Wespennest. Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Von einem Tag zum anderen ist die Terrasse zum Einflugkorridor von Wespen geworden. Über die Köpfe der Sitzenden streben die Insekten zielsicher auf eine Ritze am Rollladenkasten zu. Keine Frage, hier hat ein Volk ein Nest gebaut.

Dem Wohnungsinhaber in einem Vorort von Reutlingen wurde mulmig zumute. Ein Nest an dieser Stelle war ihm zu gefährlich. Weshalb er sich im Internet auf die Suche nach einem Fachmann machte. Es sollte ein örtlicher Schädlingsbekämpfer sein, der keinen langen Anfahrtsweg zum Ort des Ärgernisses hat und das Problem zu einem realistischen Preis erledigt.

Beim Googeln fand er gleich einige professionell aufgemachte Angebote in der Top-Position. Dass es sich dabei um Anzeigen von Dienstleistern handelte, die sich bei Google den Platz in der ersten Reihe erkauft hatten, fiel ihm zunächst nicht auf. Die Notdienste warben mit ihrer lokalen Verbundenheit. Sie priesen sich an mit Sprüchen wie „Der zuverlässige und professionelle Kammerjäger für Reutlingen“ oder mit „Schädlingsbekämpfung Reutlingen“. Er wählte die Mobiltelefonnummer eines dieser Anbieter und wurde von einer Frau am Telefon begrüßt. Sie versprach ihm, einen Schädlingsbekämpfer zu schicken. Am Abend sei der Fachmann vor Ort.

Der Wohnungsinhaber versäumte, nach den Kosten des Einsatzes zu fragen. Das holte er nach, als der „Fachmann“ ankam. Der Mann rechnete ihm vor: 69 Euro für den Weg, 179 Euro als Einsatzpauschale, dazu noch ein Zuschlag von 50 Prozent für den Einsatz nach 18 Uhr (89,50 Euro), außerdem ein Arbeitslohn von 29,90 Euro pro angefangene 15 Minuten. Zuzüglich 16 Prozent Mehrwertsteuer kam ein Betrag von 426 Euro heraus.

Das war dem Wohnungsinhaber zu viel. Er schickte den Fachmann nach Bezahlung von 80,04 Euro für die Anfahrt weg. Er fand übrigens einen lokalen zertifizierten Schädlingsbekämpfer, der ihn für 145 Euro von den Wespen befreite. Sein Preis befindet sich nach Ansicht von Verbraucherschützern im Rahmen. Üblich seien Kosten von 80 bis 150 Euro für die Entfernung eines Wespennestes ohne größere Aufwände.

Vorgegaukelte Ortsnähe

Die Erfahrung mit dubiosen Schädlingsbekämpfern machen derzeit nach Angaben von Mathias Bauer von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg immer mehr Bürger. Bei seiner Organisation häuften sich die Klagen. Viele Menschen fallen auf unseriöse Anbieter herein, die mit ihren Internetanzeigen Ortsnähe vortäuschen. Ob Ulm, Stuttgart oder Freiburg: Oft stehen die gleichen Firmen hinter vielen dieser Anzeigen mit dem Versprechen lokaler Ansässigkeit.

Wählen die Bürger in Not die angegebenen Handynummern, landen sie meist bei Callcentern, die den Auftrag an die Firmen weitergeben. Und die haben ihren Sitz häufig hunderte von Kilometern entfernt vom Wohnort der Kunden. Im Fall des Reutlingers handelte es sich um eine Firma in Essen (Nordrhein-Westfalen). Bei einem Unternehmen, das sich als „der hilfsbereite Kammerjäger für Reutlingen“ präsentierte, stellte sich heraus, dass es in Berlin sitzt. Üblich sei es bei diesen Firmen, so Bauer, für Einsätze Subunternehmer mit zweifelhafter Sachkunde zu beauftragen. Die stellten dann horrende Preise in Rechnung. Der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sind Fälle bekannt, in denen bis zu 700 Euro für einen halbstündigen dilettantischen Einsatz verlangt wurden.

Verbraucherschützer Bauer empfiehlt, sich bei solchen Internetseiten das Impressum anzuschauen, bevor man einen Anruf tätigt. Aus dem Impressum-Eintrag muss der Sitz des Unternehmens hervorgehen. Bei Internet-Einträgen ohne Impressum rät Bauer: „Sofort wegklicken!“

Dubiose Firmen bewegen sich auch in den Bereichen Schlüsseldienst, Rohrreinigung und Dachreparaturen, wo sie Menschen in Not unter der Vorspiegelung, ein lokales Unternehmen zu sein, mit Wucherpreisen um ihr Geld bringen. Auf diese Anbieter, so Bauer, hätten die Verbraucherschützer in den letzten Jahren aber erheblich Druck ausgeübt. Nun ist sein Eindruck, dass sich jene Anbieter mit ihrem „Abzockmodell“ auf die Schädlingsbekämpfung verlegen, weil sie in ihren alten Tätigkeitsbereichen nicht mehr so viel Kasse machen können.

Wespen stehen unter Naturschutz

Wespen sind nach dem Bundesnaturschutzgesetz geschützt, als wildlebende Tiere dürfen sie nicht mutwillig beunruhigt, gefangen, verletzt oder getötet werden. Auch ihr Nest darf nicht zerstört werden. Außerdem stehen bestimmte Wespenarten unter einem besonderen Schutz, wie zum Beispiel die Hornisse.

Eine Befreiung von diesen Verboten ist nur in Einzelfällen möglich. Zum Beispiel können Wespennester in der Nähe von Kindern oder von Allergikern fachgerecht entfernt werden.

Wer in Baden-Württemberg eine Wespe fängt, verletzt, tötet oder ein Wespennest zerstört, muss mit bis zu 15.000 Euro Bußgeld rechnen.

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Erstellt:
27.07.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 12sec
zuletzt aktualisiert: 27.07.2020, 06:00 Uhr

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