Berlin

Cannabis: Abschied von der Prohibition

Wer süchtig ist, wird bisher zum Kriminellen abgestempelt. Das wollen viele ändern, darunter auch Kriminalbeamte. Wie könnte eine neue Drogenpolitik aussehen?

10.05.2021

Von Dominik Guggemos

Viele sprechen sich für Reformen in der Drogenpolitik aus, speziell im Umgang mit Cannabis. Foto: Angela Weiss/afp

Viele sprechen sich für Reformen in der Drogenpolitik aus, speziell im Umgang mit Cannabis. Foto: Angela Weiss/afp

Derzeit bildet sich eine merkwürdige Koalition in Deutschland. FDP, Linke und Grüne wollen es, sogar die Mehrheit der AfD-Anhänger. Die Rede ist von der Legalisierung von Cannabis. Die grün-schwarze Landesregierung im Südwesten hat vereinbart, die nicht strafrechtlich relevante „geringe Menge“ auf 10 Gramm zu erhöhen. Die Liberalen haben kürzlich einen Gesetzesentwurf in den Bundestag eingebracht, der eine „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken“ ermöglichen soll – allerdings kaum Chancen hat, umgesetzt zu werden. Trotzdem zeigt sich: Der gesetzliche Umgang mit Cannabis wird auch im Bundestagswahlkampf zum Thema werden. Doch wie gefährlich ist das Rauschmittel – und welche Nachteile hat das derzeitige Verbot? Ein Überblick.

Legalisierung oder Entkriminalisierung: Was ist der Unterschied? Wer gegen Prohibition, also das Verbot von Drogen ist, kann trotzdem noch unterschiedlicher Ansicht über den richtigen Umgang mit den Rauschmitteln sein. Legalisierung bedeutet, dass Erwachsene den Stoff legal kaufen können, in speziellen Shops. Ein bekanntes Beispiel hierfür sind die Niederlande, auch wenn Cannabis dort formal nie legalisiert wurde: Kunden können es legal in Coffeeshops kaufen und dort konsumieren. Entkriminalisierung bedeutet, dass man die Konsumenten nicht strafrechtlich verfolgt, die Hersteller und Verkäufer aber weiterhin. Eine Ordnungswidrigkeit wäre der Besitz weiterhin. Portugal ist diesen Weg 2001 gegangen – sogar für alle Drogen.

Konsumieren mehr Menschen Drogen, wenn man dafür nicht bestraft wird? Die Statistiken aus Ländern, die diesen Weg gehen, sprechen die entgegengesetzte Sprache: In Portugal sinkt der Drogenkonsum seit der Reform vor 20 Jahren stetig – vor allem bei jüngeren Menschen. Das belegen unter anderem Auswertungen des Europäischen Drogenberichts.

Aber Cannabis ist doch eine Einstiegsdroge, oder? Das ist das Hauptargument von CDU und CSU für die aktuelle Drogenpolitik. Wer später Heroin konsumiere, habe mit Cannabis angefangen. Das Problem: Das Argument ist nicht logisch. Schließlich führt eine Erkältung auch nicht zwingend zu einer Lungenentzündung, nur weil quasi jeder Lungenentzündung eine Erkältung vorausgeht. Die einhellige wissenschaftliche Meinung ist: An der Einstiegsdrogen-These ist nichts dran.

Wie stehen Kriminalbeamte und Strafrechtler zur aktuellen Drogenpolitik? Rund vier Millionen Menschen in Deutschland konsumieren Schätzungen zufolge regelmäßig Cannabis. Solange das illegal ist, müssen Polizei und Justiz die Konsumenten ermitteln und vor Gericht stellen. Viel investierte Arbeitszeit, also. Könnte man diese nicht besser nutzen? Es wäre schon eine „signifikante Entlastung“ für die Polizei, diese Vergehen nicht mehr verfolgen zu müssen, sagt Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Aber das sei sekundär.

Der BDK fordert eine progressive Drogenpolitik und eine Entkriminalisierung aller Drogen nach dem Vorbild Portugals. „Der Unrechtsgehalt ist entscheidend dafür, ob etwas strafbar ist oder nicht“, sagt Fiedler dieser Zeitung. Statt einer Kriminalisierung von Süchtigen solle besser das Ordnungswidrigkeitenrecht greifen und die Gesundheit in den Mittelpunkt rücken. Zumal ein Teufelskreis entstehe, wenn Rauschgiftkonsumenten in letzter Konsequenz ins Gefängnis müssten – und dort dann auf Kriminelle treffen, während es in der Zeit danach auf dem Job- und Wohnungsmarkt für sie schwierig werde.

Der BDK steht nicht alleine mit dieser Position. Über 120 Strafrechtsprofessoren an deutschen Universitäten halten die strafrechtliche Drogenprohibition für „gescheitert, sozialschädlich und unökonomisch“. Selbst der Chef des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, zeigt sich offen für eine Entkriminalisierung.

Wie gefährlich ist Cannabis denn nun wirklich? Etwa fünf bis zehn Prozent der Konsumenten werden süchtig. Die Sucht ist vor allem psychischer Natur. Wer süchtig nach Cannabis ist, kann ohne den Rausch Zustände von innerer Unruhe, Nervosität oder Ängstlichkeit spüren, im schlimmsten Fall Depressionen. Im Vergleich mit anderen Rauschmitteln schneidet Cannabis aber, was Suchtgefahr und Schädlichkeit angeht, noch gut ab – auch verglichen mit dem legalen Rauschmittel Alkohol. Das gilt erst recht, wenn man Gewaltdelikte unter Alkohol- und Cannabiseinfluss miteinander vergleicht. Aus den USA gibt es Studien, die andeuten, dass eine Legalisierung von Cannabis die Kriminalitätsrate sinken lässt.

Doch auch die Suchtgefahr ließe sich durch eine Legalisierung verringern. Denn verantwortlich für den berauschenden Part wie auch für schädliche Effekte auf die Gedächtnis- und Konzentrationsfähigkeit durch den Konsum ist der Wirkstoff THC. Dessen Gehalt steigt in den vergangenen Jahren immer mehr an. Für Schwarzmarkt-Händler ist klar: Mehr Rausch und mehr Süchtige bedeuten mehr Profit. Staatliche Regulierung könnte diese Entwicklung stoppen. Auch der Jugendschutz ließe sich damit erhöhen.

Das Problem mit dem Führerschein

Berauscht am Steuersitzen, dafür hat niemand Verständnis. Doch Cannabis-Konsumenten können den Führerschein verlieren, ohne je im Rauschzustand Auto gefahren zu sein. Der Grund: Während sich Alkohol schnell abbaut, bleibt noch lange eine minimale Menge THC nachweisbar. So kann es sein, dass noch mehrere Tage nach dem Konsum ein Rückstand nachgewiesen wird – der dann zum Entzug des Führerscheins führt.

Selbst als Beifahrer mit ein paar Gramm Cannabis bei sich ist ein Führerscheinentzug möglich, wenn die Verkehrsbehörde die Fahrtüchtigkeit grundsätzlich in Frage stellt. Das widerspricht zwar einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003, kommt aber vor. ?dgu

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Erstellt:
10.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 32sec
zuletzt aktualisiert: 10.05.2021, 06:00 Uhr

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