Die Schwobarocker hören auf

Abschied von Grachmusikoff: So schön, schön war die Zeit

Ende einer Legende – mit drei Konzerten im Tübinger Sudhaus verabschiedete sich Grachmusikoff, die in eigenen Worten älteste Boygroup der Welt, von ihrem treuen Publikum. Am Ende brannten der Wüstensand und Wunderkerzen.

30.12.2017

Von Michael Sturm

Abschied von Grachmusikoff (von links): Alex Köberlein, Georg Köberlein, Bassist Paul Harriman und Hansi Fink. Bild: Sturm

Abschied von Grachmusikoff (von links): Alex Köberlein, Georg Köberlein, Bassist Paul Harriman und Hansi Fink. Bild: Sturm

Restlos ausverkauft, seit Wochen schon: Zu den drei Abschiedskonzerten von Grachmusikoff kamen gut 2000 Zuschauer ins Tübinger Sudhaus. Keins der Konzerte verlief dabei gleich. Am Mittwoch, so Alex Köberlein, sei die Fangemeinde im Saal am lustigsten gewesen. Einer darunter war Cem Özdemir. Mit 15 sei er erstmals bei einem Grachmusikoff-Konzert gewesen, verriet der scheidende Bundesvorsitzende der Grünen. Er erlebte den Gastauftritt von Riedel Diegel, der den Sound der „Schwesterband“ Schwoißfuaß mit virtuosem Einsatz der Bluesharp maßgeblich mitgeprägt hatte.

Der endgültige Abschluss der über 40 Jahre währenden Bandgeschichte am Donnerstag war wieder anders: „Heute war es draußen im Saal wie in der Kirche. Die Leute waren sehr leise“, fand Alex Köberlein. Alte Freunde und Weggefährten, die Kinder und Enkel der Musiker waren da. Und der viele Häupter zählende komplette Köberlein-Clan, alle Geschwister der Zwillinge mit ihren Familien. Bad Schussenried muss gleichzeitig wie leergefegt gewesen sein. Zudem waren die Treuesten der Treuen da: „Die ganz harten Fans“. Stellvertretend holte die Band Ingrid Schüssel auf die Bühne, die sich seit vielen Jahren bei jedem Konzert um den Merchandise-Stand kümmerte.

Obwohl die fünf Bandmitglieder zu einer poppig-triumphierenden Fanfare auf die Bühne kamen, war bereits Wehmut greifbar. Erst recht, als Georg Köberlein dem Publikum „ein unvergessliches Konzert“ wünschte. Er hatte die Gründung der Band in den 1970er Jahren vorweg genommen: Bei einer Veranstaltung gegen die Schließung des Schussenrieder Jugendhauses sang er erstmals über die plärrende „Marie“. Auf Schwäbisch.

Neben Zwillingsbruder Alex schloss sich ihr Schulfreund Hansi Fink an, der sich im Lauf der Jahre zum kultisch verehrten Leadgitarristen entwickeln sollte. Schon sein erstes Solo während des Auftaktstücks „Bargeld zählt“ war derart umjubelt, als hätte er die lokale Fußballelf gerade zu Meisterschaft und Aufstieg geschossen.

Keiner anderen schwäbischen Band, nicht einmal Schwoißfuaß, strömte im Lauf der Jahrzehnte eine vergleichbare Verehrung zu. Grachmusikoff vereinte stets musikalische Kompetenz mit schwäbischem Dialekt. Die Texte wirkten stets zeitkritisch, etwa Hansi Finks satirischer Blick auf die Gesellschaft in „Keiner isch gefeit“. Grachmusikoff-Lieder handelten von Außenseitern, wie das mit einer großen musikalischen Sogwirkung ausgestattete „Wasserkopf“. Von Fremdenfeindlichkeit („Peschel Adam“) oder unglücklicher Kindheit, wie Georg Köberleins „Drägglacha Blues“. Oder sie erlaubten historische Rückblicke, etwa auf den „Baurakrieg“.

Identitätsstiftend wirkte vor allem der Humor, ein oft unterschätzter Teil der schwäbischen Seele: „Sie isch aus Bad Buchau, i ben aus Schussariad / koiner hot se wella, I han se kriegt.“ Kann eine Frau ein vergifteteres Kompliment erhalten? Was die Band und ihre Fans im Seniorenheim erwartet (einen drogensüchtigen Leiter und illegal arbeitende Krankenschwestern aus Osteuropa), hörte man in einem jüngeren Stück, „Party im Hause Sonnenschein“, wieder einmal von einem Dialog der Zwillinge anmoderiert. Georg: „War i drbei?“ – Alex: „Du warsch dr Musiker.“ – Georg: „Gut, dass mir‘s sagsch.“

Die drei Bandgründer stützten sich während der letzten drei Auftritte wieder auf ihre eng verzahnte Rhythmus-Abteilung, den Tübinger Schlagzeuger Martin Mohr und den aus England stammenden Bassisten Paul Harriman. Hintenraus kamen die großen, unter Schwoißfuaß-Flagge errungenen Triumphe: Etwas früher „Spreng, Karle, spreng“, dann „Paule Popstar“, das vom kompletten Publikum mitgesungene „Oiner isch emmr dr Arsch“ sowie, als Zugaben, „Rastamann“ und „Indianer“. Das Publikum tobte, bis die Musiker nochmals herauskamen und den klassischen Grachmusikoff Abschluss brachten: „Brennend heißer Wüstensand“, diesmal mit Wunderkerzen garniert. Das reichte immer noch nicht, es gab noch „Fremde Zigaretten“.

Vielen ging es wie den vier Männern mittleren Alters, die extra aus Isny im schwäbischen Allgäu angereist waren: Sie wurden schweigsam. Der Edi fand, das Konzert sei „einwandfrei“ gewesen. Sein Kumpel Knäcke ergänzte: „Es wird etwas fehlen.“ Auch Alex Köberlein: „Ich stelle gerade fest, dass ich alle unsere Fans nicht mehr sehen werde. Um Georg und Hansi zu treffen, muss ich künftig aktiver werden.“