Zusammenfassung

Ausländerrecht: Abschiebung trotz Ehe

Der Pakistaner Bilal Waqas wurde aus Tübingen nach Pakistan abgeschoben, um dort die Familienzusammenführung zu beantragen.

17.01.2020

Von Sabine Lohr

Der Flüchtling Bilal Waqas wurde nach Islamabad abgeschoben. Foto: Privatfoto

Der Flüchtling Bilal Waqas wurde nach Islamabad abgeschoben. Foto: Privatfoto

Tübingen. Es war am späten Abend des 6. Januar, als die Polizei an der Tür des in Tübingen lebenden Bilal Waqas klingelte. Die Beamten gaben dem 34-Jährigen nur wenige Minuten Zeit, um das Nötigste zu packen. Er durfte seiner Frau noch kurz Bescheid geben, dann nahmen die Polizisten ihm das Handy ab. Um 5 Uhr morgens saß Waqas im Flugzeug, das ihn von Frankfurt nach Islamabad brachte.

Waqas hat nichts verbrochen. Er ist Ende 2013 nach Deutschland gekommen, weil er in Pakistan keine Zukunftschancen sah. Er beantragte Asyl, fand Arbeit und lernte die Tübingerin Ricarda Z. kennen. Die beiden verliebten sich ineinander, wurden ein Paar.

Den Asylantrag lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ab: Waqas wurde in Pakistan nicht politisch verfolgt, er gehört keiner religiösen Minderheit an, er lebte in seinem Herkunftsland in relativer Sicherheit.

Damit Bilal Waqas bleiben kann, entschied sich das Paar zur Heirat. Ehe und Familie stehen in Deutschland unter besonderem Schutz, Waqas und sein Anwalt gingen davon aus, dass der 34-Jährige nun eine Aufenthaltserlaubnis bekommen würde. Die versagte ihm aber die städtische Ausländerbehörde. Denn Waqas hatte bei seiner Einreise einen anderen Namen angegeben und sein Geburtsdatum gefälscht. Das machen viele Flüchtlinge, denn die Klärung der Identität verzögert das Verfahren – und verhindert möglicherweise eine Abschiebung, weil es unter dem falschen Namen und Geburtsdatum niemanden gibt.

Bei Bilal Waqas flog die Fälschung aber bei der Heirat auf. Er habe damit, so Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne), „die Möglichkeit auf eine Aufenthaltsgenehmigung verwirkt“ – obwohl Waqas dem Strafbefehl gefolgt war und die geforderte Summe bezahlt hatte.

Gesetz sieht Visum vor

Dennoch hatte die Ausländerbehörde recht: Das Gesetz sieht vor, dass ein Ausländer, der mit einer Deutschen verheiratet ist, nur dann eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen kann, wenn er bereits eine Duldung oder Aufenthaltsgestattung hat. Andernfalls muss er bei der deutschen Botschaft in seinem Herkunftsland ein Visum für Familienzusammenführung beantragen.

Das hatte die Stadt Waqas auch angeboten: Er solle nach Islamabad fliegen und dort dieses Visum beantragen. Um, wie Waqas' Anwalt es formuliert, einen Zustand herzustellen, der bereits hergestellt ist – dass die beiden zusammen in Tübingen leben können. Waqas lehnte das ab: Es kann Jahre dauern, bis ein solches Visum ausgestellt wird. Weil Waqas nicht freiwillig ausreiste, ordnete das Regierungspräsidium schließlich die Abschiebung an.

Fünf Tage, nachdem die Polizei bei Waqas geklingelt hatte, demonstrierten in Tübingens Stadtmitte an die 500 Leute am Samstagabend gegen die Abschiebung. Und Palmer, der sie für einen Fehler und das Ausländerrecht in diesem Punkt für „absurd“ hält, versprach, sich an die zuständigen Stellen zu wenden und um „eine beschleunigte Bearbeitung“ zu bitten. Er will erreichen, dass von der Einreisesperre von 30 Monaten, die nach einer Abschiebung gilt, abgesehen wird.

Zwei Tage nach der Abschiebung bekam das Verwaltungsgericht Sigmaringen Post von Waqas' Anwalt, verfasst am 2. Januar: Er will gegen die Stadt klagen und so die Aufenthaltserlaubnis erwirken. Gegenüber dem „Schwäbischen Tagblatt“ sagte Gerichtssprecher Albrecht Mors, die Stadt Tübingen könne auch jetzt noch eine Aufenthaltsgenehmigung für Waqas ausstellen – unabhängig von der Klage. „Dann kann er sich sofort in ein Flugzeug setzen und herkommen.“ Denn die Ausländerbehörde habe einen Ermessensspielraum, festgemacht an den zahlreichen Ausnahmen, die das Gesetz sieht. Geltend gemacht werden kann etwa die Diabeteserkrankung von Waqas: Er braucht Langzeitinsulin, das er in Pakistan nicht bekommt. Und selbst wenn die Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig erteilt werde, brauche es erst einen Kläger dagegen, so Mors.

Palmer kündigte an, er lasse das durch seine Rechtsabteilung prüfen. Durch dieselbe Abteilung, die keine rechtliche Möglichkeit sah, Waqas den Aufenthalt zu erlauben.

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Erstellt:
17.01.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 54sec
zuletzt aktualisiert: 17.01.2020, 06:00 Uhr

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Renna 17.01.202012:37 Uhr

Wer durch Täuschung oder Betrug versucht, sich in Deutschland Vorteile zu verschaffen, muss eben die Konsequenzen tragen, wenn das herauskommt. So ist das nun mal in einem Rechtsstaat. Sonst würden das noch mehr Leute versuchen. Und für Härtefälle wie diesen sieht das deutsche Gesetz normalerweise Ausnahmeregelungen vor. Also was soll die ganze Aufregung?

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