Doppelt hält besser

Abitur und Ausbildung gleichzeitig: Das Firstwald-Gymnasium bietet bald ein neues Modell an

Das Abitur in der Tasche und zusätzlich noch einen Gesellenbrief. Dieser Doppelabschluss soll ab dem nächsten Schuljahr für Firstwald-Schüler möglich werden.

04.12.2015

Von Amancay Kappeller

Neben Vokabeln-Lernen, Theaterspielen und Kicken steht am Firstwald bald auch die Ausbildung zum Maler auf dem Lehrplan. Bild: Franke

Neben Vokabeln-Lernen, Theaterspielen und Kicken steht am Firstwald bald auch die Ausbildung zum Maler auf dem Lehrplan. Bild: Franke

Mössingen/Kusterdingen/Reutlingen. An einigen privaten Gymnasien in Baden-Württemberg ist der Doppelabschluss bereits ein alter Hut – allerdings ein überaus erfolgreicher. Die Urspringschule in Schelklingen im Alb-Donau-Kreis beispielsweise bietet neben dem regulären Unterricht schon seit 25 Jahren Ausbildungen an, etwa zum Feinmechaniker, Schreiner oder Schneider. Vorreiter im Land in Sachen Doppelabschluss war und ist das katholische Mädchengymnasium Kloster Wald im Kreis Sigmaringen.

Ab dem kommenden Schuljahr möchte das Evangelische Firstwald-Gymnasium Jugendlichen nun auch die Möglichkeit geben, einen Doppelabschluss zu machen. Der Reutlinger Unternehmer Carl-Heiner Schmid, Chef der Unternehmensgruppe Heinrich Schmid, wirbt seit mehreren Jahren für das Doppelabschluss-Modell.

Kopf und Hand sollen zusammenpassen

Schmid kam mit seiner Idee auf das Firstwald-Gymnasium zu und Schulleiter Helmut Dreher sagte diese gleich zu. „Ich denke, dass die Philosophie ‚Kopf und Hand zusammenbringen‘ zu unserem pädagogischen Ansatz passen würde“, erklärt der Rektor der evangelischen Privatschule. Aus Kloster Wald ist Dreher das Modell seit langem bekannt.

Sehr gute Erfahrungen, auch was die Kombination von Handwerk und herkömmlichem schulischem Lernen betrifft, macht das Mössinger Gymnasium seit 15 Jahren mit seiner Schülerfirma, in der Schüler Stehpulte produzieren und verkaufen. „Die Firma hat eine tolle Entwicklung genommen, die Schüler arbeiten dort gerne und engagiert“, freut sich Dreher. Vom kommenden Schuljahr an will er das Doppelabschluss-Modell nun zunächst in der Außenstelle in Kusterdingen testen.

Eine Gruppe von knapp zehn Neuntklässlern kann dann bei dem Reutlinger Unternehmen neben dem regulären Unterricht eine Ausbildung zum Maler und Lackierer beginnen.

Zusammen mit Michael Pfeffer, Geschäftsbereichsleiter der Führungsakademie der Unternehmensgruppe Heinrich Schmid, erarbeitet das Mössinger Gymnasium derzeit ein Konzept für den Doppelabschluss, der angeboten werden soll. Im Vordergrund steht, wie das Modell sich im Schulalltag umsetzen lässt. Gespräche mit dem Elternbeirat sollen noch vor Weihnachten stattfinden. Im Februar wird es dann eine Informationsveranstaltung für interessierte Schüler und Eltern geben.

Das Modell richte sich aber auch an Schüler, die das Mössinger Gymnasium besuchen, sagt Pfeffer. Im kommenden Schuljahr ist die Kapazität zunächst begrenzt auf sieben bis neun Plätze. Landesweit hätten aber bereits rund 80 Unternehmen Interesse bekundet, mitzumachen – darunter auch namhafte Firmen, die auf dem Weltmarkt unterwegs sind. „Das ist keine Eintagsfliege. Wir wollen das Modell ausbauen“, so Pfeffer, „weiterentwickeln zur Bildungsevolution im Sinne von dualer Bildung.“

Er sieht den Doppelabschluss ganz klar als Aufwertung des Abiturs. In der Schule seien „ausschließlich Fähigkeiten, nicht Fertigkeiten“ gefragt. „Jeder Fünfte fällt heute schon aus dem Bildungssystem heraus, und das ist eine Katastrophe“, sagt Pfeffer und spielt damit auf die steigende Zahl von Studienabbrechern an. Zum einen ließe es sich mit Berufsausbildung in der Tasche sowie die Sozialisation im Unternehmen noch besser studieren; zum anderen fielen Jugendliche, die bereits einen Abschluss haben, nach einem eventuellen Studienabbruch nicht in ein Loch. „Das sind zwei Seiten einer Medaille“, erklärt er.

Vor zwei Wochen hat die Handwerkskammer die Genehmigung für das Pilotprojekt erteilt. Erste staatliche Gymnasien haben ebenfalls Interesse signalisiert. Einer Genehmigung vom Ministerium bedarf es dafür laut Pfeffer nicht. Schüler, die bei dem Modell mitmachen wollen, müssen sich zunächst beim Unternehmen bewerben. Die Firma wählt dann aus. „Die Schule macht ihren Job und wir unseren. Die Berufsschule übernehmen wir selber. Das Abi steht aber im Vordergrund.“

Eine kleine Hürde zum Start des Projekts sieht Michael Pfeffer: „Wir müssen das Berufsbild des Malers und Lackierers sexy machen.“ Bei dieser Ausbildung gehe es um mehr, als nur Wände anzustreichen. Auszubildende erlangen Kenntnisse in den Bereichen Physik, Wärme, Schall- und Brandschutz. „Die Ausbildung ist breit gefächert. Wer die Lehre macht, ist danach in der Lage, sein Haus auszubauen“, wirbt Pfeffer.

Am Firstwald möchte das Reutlinger Unternehmen im kommenden Jahr ein Angebot schaffen und ein Jahr später auch in der Firstwald-Partnerschule in Michelbach. 2017 soll dann in Stuttgart mit dem Kolping Bildungswerk ein duales Gymnasium gegründet werden. Ob die Kooperation mit dem Firstwald-Gymnasium 2016 zustande kommt, hängt jetzt noch davon ab, ob genug Schüler/innen Interesse am Doppelabschluss bekunden. „Es ist eine große Herausforderung, aber auch eine Chance. Die Schüler gehen dann auch strukturierter ans Abitur heran“, sagt Schulleiter Helmut Dreher.

Der Doppelabschluss in der Praxis

Zehn Wochen verbringen die Schüler pro Jahr im Unternehmen. Dafür muss die Schule die Jugendlichen drei Wochen freistellen. Den Großteil der betrieblichen Ausbildung besuchen die Schüler in den Ferien (sieben Wochen). Nach dem Abitur dauert es noch ein halbes Jahr, bis die Jugendlichen ihren Gesellenbrief in der Tasche haben. In der Zeit sind sie in Vollzeit im Unternehmen beschäftigt. Zum Zeitpunkt, zu dem die Schüler das Abitur ablegen, haben sie dann bereits einen berufsqualifizierenden Abschluss.