Natur

Abholzen für die Umwelt

Die Bahn baut zwischen Stuttgart und Ulm nicht nur eine neue Strecke, sie muss auch die Schäden an der Umwelt ausgleichen. Manchmal mit rabiaten Methoden.

21.11.2020

Von DAVID NAU

Eine Ausgleichsmaßnahme für Stuttgart 21: Mit schwerem Gerät schneiden Arbeiter bei Kirchheim einen Hang frei. Foto: David Nau

Eine Ausgleichsmaßnahme für Stuttgart 21: Mit schwerem Gerät schneiden Arbeiter bei Kirchheim einen Hang frei. Foto: David Nau

Mit Freischneider und Kettensägen schlagen die Arbeiter nahe Kirchheim/Teck im Schatten der Schwäbischen Alb eine Schneise den steilen Hang hinauf. Sie schneiden Büsche und Sträucher ab und fällen Dutzende Bäume. Viel bleibt nicht stehen. Ein großer grüner Rückezug ist am Fuße des Hangs schwer damit beschäftigt, Äste, Büsche und ganze Holzstämme abzutransportieren.

Was zunächst einmal ziemlich nach Zerstörung aussieht, soll der Umwelt langfristig helfen. „Wir räumen hier auf“, sagt die Landschaftsplanerin Ulrike Barleben. Die 37-Jährige ist bei der Deutschen Bahn (DB) für die Ausgleichsmaßnahmen beim Projekt Stuttgart 21 zuständig. Weil beim Bau von Tiefbahnhof und vor allem Neubaustrecke viel Natur zerstört wird und Flächen versiegelt werden, die vorher Wiesen und Felder waren, muss die Bahn als Bauherr Kompensationsmaßnahmen durchführen.

Eine davon ist die Rodung an dem Hang bei Kirchheim. Der war vor dem Einsatz der Arbeiter komplett mit Büschen und Brombeeren zugewachsen, jahrelang hatte sich niemand um die Fläche gekümmert. „Jede Fläche, die man nicht pflegt, wird zu Wald“, erklärt Barleben. Das sei nicht gut für die Artenvielfalt. „Je mehr Büsche wachsen, desto weniger Nischen gibt es für typische Tier- und Pflanzenarten.“

Besonders artenreich seien Wiesen und Grünland, sagt Barleben. Deswegen räumen die Arbeiter nun den Hang frei und lassen nur einzelne Bäume stehen, die später Schatten spenden und Unterschlupf für Tiere bieten sollen. Weil der Hang nach Süden ausgerichtet ist, hofft Barleben, dass sich dort Schmetterlinge wie der Segelfalter oder der Apollofalter und bestimmte Heuschreckenarten ansiedeln, die es gerne warm und sonnig haben.

Nach der Bahn kommen Ziegen

Auf der Wiese nebenan freut sich der Besitzer ebenfalls über die Rodungsarbeiten. „Ich bin froh, dass der Hang jetzt wieder frei ist“, sagt er. Der dichte und hohe Bewuchs sei bis über seine Streuobstbäume geragt und habe denen geschadet.

Er erinnert sich noch daran, wie der Hang, der der Stadt Kirchheim gehört, in den 60er Jahren von den umliegenden Bauern immer gemäht wurde. „Im Gegenzug durften die dann ihre Bullen zum Decken bringen“, sagt er und lacht. Danach hätte dann noch eine Schäfer seine Tiere auf der Fläche gehalten, die Schafe seien mit dem Abfressen der Büsche aber nicht mehr nachgekommen.

Wenn die Bahn die Maßnahme fertiggestellt hat, übernimmt ein Ziegenzüchter die Pflege des Hangs. „Die Ziegen beißen deutlich mehr an den Büschen ab als Schafe und halten die Landschaft dadurch länger offen“, sagt Barleben. 30 Jahre lang muss die Bahn die Fläche pflegen, insgesamt sind dafür Kosten in Höhe von 60?000 Euro vorgesehen.

Für die fünf Arbeiter, die den Hang freischneiden, ist die Aufgabe nicht ganz einfach. Für schweres Gerät ist der Hang an manchen Stellen zu schwer, außerdem machen ihnen kaputte Bäume zu schaffen. „Wenn einer mit der Maschine an einen kaputten Baum rankommt, dann regnet es Totholz“, sagt der Vorarbeiter Johannes Hornstein. „Das ist gefährlich wie die Sau.“

Außer am Hang „aufzuräumen“, entfernt die Bahn auch Rohre aus einem Feuchtgebiet am Fuß des Hangs. Die hielten das Gebiet schön trocken, damit Landwirte es gut bewirtschaften konnten. Künftig soll es ein Feuchtgebiet werden, in dem dann etwa seltene Libellenarten einen Lebensraum finden können.

Für den Ausgleich der Umweltschäden von Stuttgart 21 lässt Barleben außerdem Waldkanten „weicher machen“. Dabei werden kleine Büsche am Waldrand gepflanzt, sodass der Wald nicht direkt am offenen Feld endet. Vorteil: „Die Bäume sind dann zum Beispiel bei Sturm besser geschützt.“

Ulrike Barleben (37), Landschaftsplanerin bei der Deutschen Bahn. Foto: David Nau

Ulrike Barleben (37), Landschaftsplanerin bei der Deutschen Bahn. Foto: David Nau

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Erstellt:
21.11.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 47sec
zuletzt aktualisiert: 21.11.2020, 06:00 Uhr

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