Tübingen · Journalismus
50 Jahre Presseclub: Dem Qualitätsjournalismus verpflichtet
Der Tübinger Presseclub ist 50 Jahre alt geworden und feiert dieses Jubiläum eines Grenzgangs zwischen Nähe und Distanz zu den Mächtigen am kommenden Sonntag.
Ende der sechziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts war es schwieriger, von Behörden und Institutionen Auskunft zu erlangen. Der pressegesetzlichen Pflicht zur Auskunft kamen manche nur widerwillig nach. Die Bereitschaft der Institutionen, Einblick in ihre Arbeit zu geben und sich kritischen Fragen zu stellen, war schwächer ausgeprägt als heute. Und: Die Einrichtung von Pressestellen, Segen und Fluch für die publizistische Arbeit zugleich, war nicht selbstverständlich.
Einer der Initiatoren des Clubs
Selbst gestandene Chefredakteure großer Tageszeitungen nahmen noch beim Kanzler oder beim Ministerpräsidenten am Katzentischchen Platz, um dann einem Monolog über die Weltlage zu lauschen. Vor Ort war das nicht viel anders. Der Autor war als Volontär dabei, als der Bürgermeister einer Stadt im Kreis Reutlingen dem Regionalchef der großen Lokalzeitung am Vormittag vor der abendlichen Sitzung des Gemeinderats dessen Beschlüsse in den Block diktierte. Am andern Tag war der Bericht im Blatt, lediglich ergänzt durch die Abstimmungsergebnisse und einige Wortmeldungen der Gemeinderäte.
In Tübingen hatte in der TAGBLATT-Chefredaktion 1969 ein junger Mann Platz genommen, der sich eine zupackende, selbstbewusste Art von Berichterstattung vorgenommen hatte. Und genau dieser Christoph Müller, heute 81, war einer der Initiatoren des PC. Er versprach sich von der geballten Kraft sämtlicher Medienvertreter in Tübingen einen besseren Informationsfluss. Allerdings ging es den offenbar sehr lokalpatriotisch gesinnten Clubpionieren auch darum, Tübingen, das 1952 nach der Gründung Baden-Württembergs seinen Hauptstadt-Status verloren hatte, wieder mehr Gewicht im Lande zu verschaffen. So verstanden sich die damaligen Journalisten, wie es Locher einst ausdrückte, als „regionale Botschafter“.
20 Mitglieder im Dezember 1971
Zweieinhalb Jahre nach der Gründung beschrieb Müller in einem „Übrigens“ Locher als die „treibende und vor allem organisierende Kraft des Ganzens“. „Unter seiner treusorgenden Ägide“, so Müller weiter, war der Club im Dezember 1971 auf 20 Mitglieder angewachsen. Im Jahr 1970 hatte der Club 42 Termine abgehalten, wobei Müller bemängelte, dass der PC bis jetzt „offensichtlich entschieden zu wenig außerdienstlich gesellig beisammen“ war. Dieses Defizit wurde rasch behoben, davon zeugen alte Wirtshaus-Rechnungen. So schafften bei einer Zecherei in der „Rosenau“ 15 PC-Mitglieder 63 Viertel Wein.
Eherne Regel des PC ist von Anfang an, dass er seine Gesprächspartner einlädt und er die Themen bestimmt. Nach einem kurzen Vortrag müssen die Eingeladenen für Fragen zur Verfügung stehen. Einfach ein Statement abgeben und dann abschwirren, kommt beim PC nicht in Frage, und es hat auch noch nie jemand sich den Fragen verweigert.
Bibbernd auf die Delegation warten
Schon früh erweiterte der Club sein Tätigkeitsfeld. Üblich wurden auch auswärtige Termine und Pressefahrten, vor allem mit dem Regierungspräsidium, hinaus in den Regierungsbezirk, auf die Alb, nach Oberschwaben, an den Bodensee und ins Allgäu. Besondere Noten setzte dabei der barocke Regierungspräsident Max Gögler, der zuweilen die Reise für ein Orgelspiel unterbrach. So einmal auf der Birnau, wobei sich der musikalische Präsident so vergaß, dass die nächsten Gesprächspartner auf dem kalten Bahnhof von Ravensburg eine Stunde lang bibbernd auf die hohe Tübinger Delegation warten mussten.
„Fehlende Exklusivität“ war und ist auch das Hauptproblem der langjährigen TAGBLATT-Redakteurin Ulrike Pfeil in ihrem Verhältnis zum PC. Sperrfristen, die vereinbart wurden, gingen für sie auf Kosten von Brisanz und Aktualität. Aber sie erfuhr auch, dass der Zugriff auf Prominente im Verbund leichter war. Schließlich bekam sie auf den Terminen auch mit, wie die anderen Kollegen arbeiten. Sie lernte beispielsweise, manche Fragen erst hinterher im Vieraugen-Gespräch zu stellen, bei dem die anderen nicht mithören konnten – so sicherte man sich eine bedingte Exklusivität.
Müller ging nach seiner anfänglichen Sympathie auf Distanz zum PC. „Er hat sich manchmal darüber mokiert, dass der Presseclub zu brav ist“, erinnert sich Wulf Reimer, der zu den Gründungsmitgliedern zählt und 1981 als Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“ nach Stuttgart ging.
Viele Reisen unternommen
Ein von Reimer genannter Kritikpunkt war auch die für ihn häufig zu große Nähe zwischen Journalisten und den Tübinger Granden, die kritischen Journalismus nicht befördern konnte. Ein Dilemma, mit dem aber nicht nur die Mitglieder des PC zu kämpfen haben: Einerseits verhilft ein gutes Verhältnis zu Politikern und Behördenchef durchaus zu exklusiven Informationen, andererseits birgt es die Gefahr, journalistisch zu viel Rücksicht auf die Personen zu nehmen.
Mit zu den eindrücklichsten Reisen zählt der Rom-Besuch 2004, bei dem der PC Kardinal Walter Kasper und den damaligen Dekan des Kardinalskollegiums, Joseph Ratzinger, traf und mit guten Geschichten zurückkehrte. Ein politisches Beben zog die Assisi-Reise mit Bischof Gebhard Fürst nach sich, bei der Fürsts Konflikt mit dem damaligen Sozialminister Andreas Renner zur Sprache kam, eine Affäre, die Monate später zu Renners Rücktritt führte.
Heute hat der PC 30 Mitglieder. Darunter sind aber viele Ruheständler. Da zahlreiche Verlage, darunter die „Stuttgarter Zeitung“ und die „Schwäbische Zeitung“, ihre Korrespondentenplätze aufgehoben haben, hat der PC an publizistischem Gewicht verloren. Doch für Dr. Andreas Narr, Leiter des SWR-Studios Tübingen, der den Club seit 1998 leitet, bleibt es dabei: Der PC sieht sich gutem und professionellem Journalismus verpflichtet.
Info Der Autor (67) war Tübinger und Stuttgarter Korrespondent der SÜDWEST PRESSE und ist seit 1978 Mitglied des Tübinger Presseclubs.
Preise für Nachwuchsjournalisten
Zum 50-jährigen Bestehen hat der Tübinger Presseclub einmalig einen Wettbewerb unter Nachwuchsjournalisten ausgeschrieben. Eine unabhängige Jury prämiert „herausragende Beispiele einer innovativen und originellen regionalen Berichterstattung.“ Vergeben wird ein erster Preis, der mit 2000 Euro honoriert wird, und ein mit 500 Euro vergüteter zweiter Preis. Presseclub-Vorsitzender Andreas Narr übergibt die Preise während eines Festakts am 10. November in der Alten Aula. EU-Kommissar Günther Oettinger hält die Festansprache.