Tübingen · Protest

Tausende demonstrieren für andere Agrarpolitik

Mehrere tausend Menschen demonstrierten am Samstag auf dem Tübinger Marktplatz für eine nachhaltigere Agrarpolitik.

19.01.2020

Von Miri Watson

Sie haben es satt: Am Samstag machten sich Tausende für „Klima, Erde, Mensch und Tier“ stark. Bild: Ulrich Metz

Sie haben es satt: Am Samstag machten sich Tausende für „Klima, Erde, Mensch und Tier“ stark. Bild: Ulrich Metz

Mit Gummistiefeln kämpfen wir – für Klima, Erde, Mensch und Tier!“, schallte es am Samstagmittag durch die Innenstadt, als die laut Veranstalter- und Polizeischätzung 3000 Protestierenden bei der „Wir haben es satt!“-Demonstration sich für eine andere Agrarpolitik stark machten.

„Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Baden-Württemberg hat in den letzten Jahrzehnten in ähnlicher Geschwindigkeit abgenommen, wie die der Insekten oder Feldvögel“, sagte Gottfried May-Stürmer, der Landwirtschaftsreferent des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) bei seinem Redebeitrag auf dem Marktplatz. „Wir brauchen viele Bauernhöfe statt Agrarfabriken!“

Die negativen Auswirkungen der Landwirtschaft im großen Stile sind, so die Rednerinnen und Redner auf der Tübinger Demo, vielfältig: Hohe Nitratbelastung im Grundwasser, die Nutzung von Pestiziden, die ebenfalls das Grundwasser belasten, Insekten schädigen und krebserzeugende Wirkstoffe beinhalten, wirtschaftliche Nachteile von bäuerlichen Kleinbetrieben. „Natürlich brauchen die Bauern bessere Erzeugerpreise – aber das geht nicht, solange zuviel Masse produziert wird“, sagte May-Stürmer.

Rupert Ebner, der vor zehn Jahren zu den Gründern der „Wir haben es satt!“-Demonstrationen in Berlin gehörte und im Vorstand des Vereins „Slow Food Deutschland“ ist, freute sich über die rege Beteiligung in Tübingen: „Dezentrale Demonstrationen wie diese sind die Zukunft.“

Aus veterinärer Perspektive sprach er darüber, wie Massentierhaltung das Vieh krank macht: Das männliche Kalb, so sagte Ebner, sei auf dem Weg zum männlichen Küken: „Es ist Abfall, niemand braucht mehr das männliche Kalb.“ Schon jetzt würden männliche Kälbchen in großen Stallungen bei Krankheit nicht mehr tierärztlich behandelt werden.

Ebner sprach sich dafür aus, die Größe von landwirtschaftlichen Betrieben mit Tierhaltung gesetzlich zu limitieren: „Ich bin der Meinung, die Größenordnung von Milchviehbetrieben muss begrenzt werden. 300 Kühe sind genug!“

Der Tübinger Bundestagsabgeordnete Chris Kühn von den Grünen hatte im Vorfeld der Demonstration eine Pressemitteilung herausgegeben, in der er seine Unterstützung für das breite bäuerlich-bürgerschaftliche Bündnis aussprach und schrieb: „Die bisherige Förderlogik des Bundes und auf EU-Ebene muss sich massiv ändern. Denn sie belohnt nach wie vor reinen Flächenbesitz und stellt kaum Anforderungen an Ökologie, Tierschutz oder Gesundheit.“ Zudem forderte der Politiker eine Ernährungswende, die direkt von der Politik vorangetrieben wird, so dass künftig nicht mehr nur wohlhabende Menschen hochwertige Lebensmittel kaufen können: „Die gute Wahl muss bei der Ernährung endlich die leichte Wahl sein!“

Als Bienen und Kühe verkleidet, auf Milchkannen und Pfannen trommelnd und mit Schildern wie „Wir wollen kein Gift in unserem Essen!“ oder „Langstreckenflüge nur für Zugvögel“ ausgestattet, zogen die Demonstrierenden im Anschluss an die Kundgebung durch die Innenstadt, über die Wilhelmstraße, Silcherstraße und Rümelinstraße und wieder zurück durch die Innenstadt zum Marktplatz.

Veronika Geisler war extra für die Demonstration aus dem hessischen Wiesbaden gekommen: „Mir als Verbraucherin ist es sehr wichtig, dass ich Produkte essen kann, die nicht auf Kosten von Biodiversität, Boden, Wasser, Tieren und natürlich des Landwirts hergestellt werden.“

Vielfältige Bauernproteste

Während es den Demonstrierenden bei der „Wir haben es satt!“-Demonstration in Tübingen um nachhaltigere Landwirtschaft, höhere Umweltauflagen im Agrarbereich und um die Förderung von bäuerlichen Kleinbetrieben ging, hatten die rund 4000 Bauern, die am Freitagvormittag in der Landeshauptstadt Stuttgart unter dem Motto „Land schafft Verbindung“ auf die Straße gingen, vor allem die Forderung, bei Entscheidungen zu agrarpolitischen Themen mehr einbezogen zu werden. Bei der Demonstration in Stuttgart wurden auch flexiblere Regelungen bezüglich des Umweltschutzes gefordert. Mit tausenden von Traktoren hatten die Bauern schon bei der Grünen Messe in Berlin für ihr Anliegen geworben.