Kreis Tübingen

230 Feuerwehr-Einsätze: Ein Unwetter der Stufe 4

Am Mittwochabend verwüstete ein Hagelsturm die Region. Im Kreis zählte die Feuerwehr 230 Einsätze, das Ausmaß der Schäden ist noch nicht abzusehen.

23.06.2021

Von itz, uja, an, dpa

Der Tübinger Marktplatz am Mittwochabend. Bild: Anne Faden

Der Tübinger Marktplatz am Mittwochabend. Bild: Anne Faden

Mit der höchsten Warnstufe 4 hatte der Deutsche Wetterdienst das Unwetter angekündigt. Und das war korrekt. Mit Böen von bis zu 100 Kilometern pro Stunde und mehreren Zentimeter dicken Hagelkörnern fegte der Sturm am Mittwoch gegen 18 Uhr über Tübingen und die Region hinweg. Betroffen waren vor allem die Städte und Gemeinden entlang des Neckars: von Rottenburg über Tübingen in Richtung Reutlingen. Ammerbuch, Dettenhausen oder das Steinlachtal blieben verschont.

Rund 230 Einsätze verzeichnete die Feuerwehr im Landkreis Tübingen bis etwa 21.30 Uhr, wie Kreisbrandmeister Marco Buess dem TAGBLATT sagte. Je mehr die Gewitterfront in Richtung Tübingen kam, desto größer seien die Hagelkörner geworden. „Da hat es auch ein paar Dachfenster eingeschlagen“, sagte Buess. Im Tübinger Landratsamt bekam offenbar der Große Sitzungssaal im Erdgeschoss etwas ab.

Neben vollgelaufenen Kellern und Tiefgaragen sowie umgestürzten Bäumen gab es für die Feuerwehr zwei große Einsätze: im Tübinger Impfzentrum, das vorerst nicht mehr in Betrieb gehen kann (siehe unten). Sowie im Rottenburger Haus am Hospitalgarten. „Da sieht es aus wie im Krieg“, sagte Buess. Die oberen vier von fünf Stockwerken seien unbewohnbar.

Wie Bürgermeister Hendrik Bednarz am Abend berichtete, mussten 23 Bewohner der Pflege-Wohngruppen in den oberen Stockwerken anderweitig untergebracht werden. Wasser war ins Gebäude eingedrungen, weil die Abflüsse des Dachs verstopft waren. Das Wasser bahnte sich seinen Weg durch Decken und Wände, Gipskartonplatten krachten von den Decken. Wie schwerwiegend die Schäden sind und wie umfangreich die Sanierungsmaßnahmen sein werden, lasse sich noch nicht abschätzen, so Bednarz. Acht Bewohner konnten für die Nacht in einer anderen Wohngruppe, drei im Haus Katharina unterkommen. 12 Bewohner im Bereich „Junge Pflege“ verbringen die Nacht in den Räumen der Tagespflege.

Auch in Kirchentellinsfurt wütete das Gewitter heftig. Von der Shell-Tankstelle bis zum Kreisverkehr in der Wannweiler Straße sei das Wasser teilweise einen halben Meter hoch gestanden, erzählte Feuerwehrkommandant Patrick Schuppara. In Tübingen verwandelten sich Innenstadtgassen in reißende Bäche. Etliche Leute mussten zur Schneeschaufel greifen, um den Hagel beiseite zu schaffen. Schlimme Verwüstungen richtete das Unwetter auch in den Gärten, beim städtischen Blumenschmuck und auf den Feldern der Bauern an. Befürchtet wird, dass die Ernte betroffen sein könnte. Insgesamt geht Buess davon aus, dass das Unwetter jedoch glimpflicher verlief als jenes am 28. Juli 2013, welches in der Region einen Schaden von über einer Milliarde Euro hinterlassen hatte.

Reutlinger Hagelflieger nicht im Einsatz

Zu einem ähnlichen Schluss kam gegenüber dem TAGBLATT auch Gabriele Gaiser. Sie ist Vorsitzende des Vereins zur Hagelabwehr im Landkreis Reutlingen. Dort gab es hunderte Einsätze, besonders in der Nordstadt wie etwa in Rommelsbach oder Degerschlacht seien Schäden an Wintergärten und Gärtnereien verzeichnet worden, während in der Kernstadt vor allem die Wassermassen ein Problem dargestellt hätten, so Gaiser.

Die Bundesstraße 28 auf Höhe des Reutlinger Stadtteils Betzingen wurde teilweise überflutet und mit Hagel übersät, wie eine Sprecherin der Stadt mitteilte. Im Stadtteil Mittelstadt sei zudem ein Baum in eine Stromleitung gestürzt und habe die Stromversorgung des Teilorts gekappt, so die Sprecherin. Feuerwehr und THW waren im Kreis Reutlingen mit rund 370 Helfern und mindestens 60 Fahrzeugen im Einsatz. Weitere Kräfte wurden angefordert.

Die hohe Luftfeuchtigkeit habe dazu beigetragen, dass die Gewitterzelle so groß geworden sei, sagte Gaiser, die von drei bis vier Zentimeter großen Hagelkörnern berichtete. Sie ist sicher, dass ein Einsatz des Hagelfliegers geholfen hätte. Das Problem: Aus finanziellen Gründen geht der Flieger des Vereins nur sechs Wochen im Jahr in die Luft – und zwar erst ab kommenden Samstag.

Andere Hagelflieger waren allerdings sehr wohl in der Region unterwegs: Ab 17.35 flog laut „flightradar24“ ein Flieger der Jumara Air Service aus Donaueschingen zwischen Rottenburg und Reutlingen Impflugmanöver, außerdem war ein Flieger der Hagelabwehr Südwest in der Luft.

Impfzentrum unter Wasser

Das Tübinger Impfzentrum in der Paul-Horn-Arena ist vom Unwetter am Mittwochabend schwer getroffen worden. Teilweise sei das Wasser bis zu fünf Zentimeter tief in der Halle gestanden, berichtet Kreisbrandmeister Marco Buess. Das Landratsamt hat zunächst alle Impftermine am späten Mittwochabend sowie am heutigen Donnerstag abgesagt. Im Laufe des Tages soll auf der Homepage www.tuebingen-impfzentrum.de informiert werden, wie es weiter geht und was mit den ausgefallenen Terminen passiert. Das TAGBLATT informiert darüber auch im Live-Blog auf tagblatt.de. Buess befürchtet, dass die Unwetterfolgen über den Donnerstag hinaus für Ausfälle sorgen werden. „Wahrscheinlich müssen wir alles abbauen, trocknen und wiederaufbauen“, sagte er.

Das Tübinger Impfzentrum steht unter Wasser. Bild: Sybille Kiefer

Das Tübinger Impfzentrum steht unter Wasser. Bild: Sybille Kiefer