Tübingen · Medizin

2 Millionen von den Zuckerbergs

Die US-Stiftung unterstützt ein Projekt, das Menschen mit einer seltenen neurologischen Erkrankung helfen soll. Beteiligt ist auch ein Patientenverein.

15.12.2022

Von ST

Das Tübinger Forschungsteam hat Hautzellen eines Patienten genutzt, um kleine Hirnorganoide zu erzeugen. Hier sehen der Patient und sein Vater zum ersten Mal „sein“ Gewebe in der Petrischale. Bild: Beate Armbruster / HIH

Das Tübinger Forschungsteam hat Hautzellen eines Patienten genutzt, um kleine Hirnorganoide zu erzeugen. Hier sehen der Patient und sein Vater zum ersten Mal „sein“ Gewebe in der Petrischale. Bild: Beate Armbruster / HIH

Die pontozerebelläre Hypoplasie Typ 2, kurz PCH2, ist eine seltene neurologische Erkrankung. Sie geht mit schwersten Entwicklungsstörungen und eingeschränkter Lebenserwartung einher. Um eine geeignete Therapie für die Erkrankung zu finden, haben sich nun Forschende aus Tübingen und Freiburg mit der Elterninitiative „PCH-Familie e.V.“ zusammengeschlossen. Im Projekt „PCH2cure“ werden sie die Krankheit in den kommenden vier Jahren intensiv erforschen. Dabei werden sie sich auf Themen konzentrieren, die für die Lebensqualität der Betroffenen von hoher Bedeutung sind, so Studienleiterin Simone Mayer vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, dem Universitätsklinikum (Tübingen) und der Universität Tübingen. Das Projekt wird mit zwei Millionen US-Dollar (entspricht aktuell 1,93 Millionen Euro) von der Chan-Zuckerberg-Initiative gefördert. Dies hat die gemeinnützige Stiftung des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg und seiner Ehefrau Priscilla Chan bekannt gegeben. In der aktuellen Ausschreibungsrunde ist es das einzige Projekt außerhalb der USA, das unterstützt wird.

„PCH2 ist eine der pflegeintensivsten neurologischen Erkrankungen. Die Patientinnen und Patienten leben mit schweren Beeinträchtigungen, und die Krankheit hat enorme Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien“, sagt Samuel Gröschel, Privatdozent und Oberarzt in der Abteilung Neuropädiatrie des Tübinger Universitätsklinikums. Grund für die Erkrankung sei ein Genfehler, der dazu führe, dass sich bestimmte Teile des Gehirns nicht richtig entwickeln. „Die zugrundeliegenden Mechanismen sind noch nicht genau bekannt. Daher können wir nur die Symptome medikamentös behandeln, wie etwa die außergewöhnliche Reizbarkeit und Unruhe der Kinder und ihre Anfälle“, ergänzt Prof. Ingeborg Krägeloh-Mann, emeritierte Direktorin der Tübinger Neuropädiatrie. Eine Heilung oder Therapie, die an der Ursache der Erkrankung ansetzt, gebe es bislang nicht.

Das will das interdisziplinäre Forschungsteam nun ändern. In Vorarbeiten haben Simone Mayer und ihr Team bereits Hirnorganoide aus den Hautzellen mehrerer Patientinnen und Patienten entwickelt. Das sind dreidimensionale Zellkulturen, die natürlichem Gewebe stark ähneln. An ihnen lassen sich Funktionsstörungen gut rekonstruieren.

„Die medizinische Grundlagenforschung hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte mithilfe von Organoiden erzielt“, sagt die Biologin. „Sie bieten die Chance, Krankheitsmechanismen in der Petrischale zu modellieren, in sie einzugreifen und sie dadurch besser zu verstehen.“ Im nun anlaufenden Projekt nutzen die Forschenden Hirnorganoide, um die zellulären und molekularen Mechanismen der PCH2-Erkrankung besser zu verstehen. Darüber hinaus wird auch moderne Bildgebung eingesetzt, um Gehirne von Betroffenen zu untersuchen und somit die Krankheit auf Systemebene zu analysieren.

„Wir sind optimistisch, dass unsere Studie langfristig hilft, die Lebensqualität der betroffenen Kinder und ihrer Angehörigen zu verbessern und ihre Lebenserwartung zu verlängern“, glaubt die Kinderärztin Wibke Janzarik von der Klinik für Neuropädiatrie und Muskelerkrankungen des Universitätsklinikums Freiburg. Das Projekt „PCH2cure“ wurde vom Elternverein „PCH-Familie e.V.“ initiiert. Die enge und standortübergreifende Zusammenarbeit zwischen Forschenden, Medizinerinnen und Medizinern und den Familien spielt bei dem Projekt eine Schlüsselrolle. „Das ist in dieser Form neu und könnte als Modell für andere Forschungsprojekte dienen“, sagt Mayer.

Die Chan-Zuckerberg-Initiative unterstützt daher nicht nur die reine Forschungsarbeit: Rund 400 000 US-Dollar (oder 387 000 Euro) der Fördersumme fließen direkt an den Verein. „Die Zahl der Erkrankten beträgt deutschlandweit weniger als hundert Personen. Wir möchten PCH2 bekannter machen und das Wissen darüber erweitern“, erklärt das Vereinsmitglied Julia Matilainen, die selbst Mutter eines kranken Kindes ist. „Die Finanzierung ermöglicht uns, die Patientengemeinschaft weltweit zu erreichen und in das Forschungsprojekt einzubeziehen.“

Förderung für medizinische und soziale Projekte

Die Chan Zuckerberg Initiative (CZI) ist eine Wohltätigkeitsorganisation, die ihren Sitz in der kalifornischen Stadt Redwood City hat. Gegründet wurde sie von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und seiner Frau Priscilla Chan, einer Kinderärztin, anlässlich der Geburt ihrer Tochter Maxima Chan Zuckerberg im Jahr 2015. Die beiden Gründer wollen im Laufe ihres Lebens 99 Prozent des gemeinsamen Vermögens in die Stiftung investieren. Gefördert wurden bislang unter anderem Forschungen zu neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson oder ALS. Die Stiftung will auf Dauer alle großen Krankheiten der Welt mit Hilfe von KI-gestützter Daten-Analyse besiegen. Sie fördert aber auch soziale und politische Projekte.

Zum Artikel

Erstellt:
15.12.2022, 19:46 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 03sec
zuletzt aktualisiert: 15.12.2022, 19:46 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!