Kiebingen · Brückenbau

12 Männer schieben 400 Tonnen – von Hand

Bei Kiebingen hoben die Metzinger Baufirma Brodbeck und die Bietigheimer Kranfirma Wiesbauer am Freitagabend eine neue Betonbrücke millimetergenau in die Bahnstrecke Tübingen-Rottenburg. Mehr als 100 Schaulustige sahen zu.

26.10.2019

Von Michael Hahn

Um 20.48 Uhr ertönte das Kommando: „Füße weg, wir lassen ab!“ Bis dahin hatten zwölf Männer unten in der Baugrube die neue Betonbrücke zentimeter-, ja fast millimeterweise hin- und her geschoben. Eine Stunde lang war der Koloss bis dahin in der Luft geschwebt, bis alles passte. Um 20.49 Uhr setzte die Brücke auf.

Schon die ganze Woche über hatte die Bietigheimer Firma Wiesbauer den riesigen Kran zusammengesetzt. Mit Gegengewichten ist er fast 1000 Tonnen schwer. Und 54 Meter hoch, fast so hoch wie der Rottenburger Dom. Der Kran war am Freitag schon aus vielen Kilometern Entfernung zu sehen.

Solche Kräne werden normalerweise beim Bau von Windkraftwerken eingesetzt, sagte Wiesbauer-Projektleiter Marko Wilhelm. In ganz Deutschland gebe es nur etwa 30 Stück davon. 40 Tiefladerfahrten seien für den Aufbau notwendig gewesen. Der Flaschenzug am Kran zählte zwei mal 15 Einscherungen, die acht Stahlseile, an denen die Brücke schließlich schwebte, waren mindestens zehn Zentimeter dick.

Der Geologe war zufrieden

Die Betonbrücke selbst stand schon seit August fix und fertig neben dem Bahndamm, wie ein riesiger Bauklotz, und wartete auf ihren „Einhub“. Die Metzinger Baufirma Brodbeck hatte den Koloss bereits im Frühsommer gegossen. Den „Einhub“ hatte die Bahn auf dieses Wochenende terminiert, zeitgleich mit zwei weiteren Brückenbauwerken bei Bühl und bei Kilchberg. Diese beiden Brücken werden am Samstag eingesetzt – allerdings nicht per Kran von oben, sondern von der Seite eingeschoben.

Die „Sperrpause“ für die Bahnstrecke hatte in der Nacht zum Freitag begonnen (siehe: „Holpriger Schienenersatzverkehr“). Kurz nach Mitternacht begannen die Brodbeck-Leute, die Schienen herauszuschneiden und die altersschwache Betonbrücke über den Rohrhaldenbach abzubrechen. Am Freitagvormittag klaffte bereits eine tiefe Baugrube.

Am Mittag untersuchte ein Geologe den Untergrund – und war zufrieden. Die Baufirma konnte damit beginnen, das Fundament aufzuschütten. Zunächst mit Schotter, in 30-Zentimeter-Schichten, immer fest verdichtet. Pünktlich um 18 Uhr lieferte das Frischbetonwerk Reutlingen trockenen Beton für die zwei dünnen Bodenplatten ab. Bauleiter Matthias Holzwarth schaltete das Flutlicht ein.

Eine halbe Stunde für 50 Meter

Da strömten bereits die Schaulustigen zur Baustelle und suchten sich gute Aussichtspunkte auf einem der aufgeschütteten Erd- und Geröllhaufen ringsum. Darunter auch mindestens 20 Brodbeck-Arbeiter und Arbeiterinnen von anderen Baustellen, die – in ihrer Freizeit – den Kollegen zuschauen und fachsimpeln wollten, denn: „So einen Einhub sieht man selten.“

Um 19.50 Uhr, noch während unten in der Baugrube die letzte Bodenplatte glattgestrichen wurde, hob der Kran die Brücke langsam an. Fast unmerklich drehte sich der Kran um 90 Grad und schob sich auf seinen riesigen Ketten langsam vorwärts. Etwa fünf Meter über dem Boden schwebte die Brücke so ihrem Ziel entgegen; für die etwa 50 Meter Luftlinie brauchte sie eine halbe Stunde.

Dann senkte der Kranfahrer die Brücke langsam in die Baugrube. Sobald sie für die Bauarbeiter in Reichweite war, begann das große Drücken. Erst vier, schließlich zwölf Männer schoben den schwebenden Koloss hin und her. Als Orientierung diente – ganz altmodisch – eine dünne, straff gespannte Schnur. Währenddessen turnte ein Vermessungsspezialist oben auf der schwebenden Brücke herum und stellte seine Laser-Geräte auf für die Endkontrolle.

Als nächstes: Gleisbau

Sobald die Brücke passgenau saß, sollte das Auffüllen der Baugruben beginnen und voraussichtlich die ganze Nacht andauern. Im Laufe des Samstags dürfte die Brodbeck-Aufgabe beendet sein, sagte Bauleiter Holzwarth. Dann übernimmt die Gleisbau-Firma Leonhard Weiss: Schotter stopfen und Schienen einsetzen. Das fertige, auf Betonschwellen montierte Gleisstück lag am Freitag schon neben dem Bahndamm bereit.

Am Montag soll die Bauabnahme erfolgen, damit ab Dienstagfrüh die Züge wieder fahren können – vorausgesetzt, auch die anderen zwei Brückenbauwerke verlaufen nach Plan. Anschließend wird der riesige Wiesbauer-Kran wieder abgebaut. In den kommenden Wochen muss Brodbeck die großflächige Baustelle dann wieder zurückbauen, auch den verbreiterten Feldweg am Ortsrand.

Holpriger Schienenersatzverkehr

Während die Zugstrecke bis einschließlich Montagabend gesperrt ist, hat die Bahn für manche Züge Ersatzbusse („Schienenersatzverkehr“) organisiert, die zwischen Tübingen und Rottenburg pendeln. Sie halten unterwegs nur in Kiebingen. Dafür gibt es einen extra Fahrplan.

Die Fahrplan-App des regionalen Tarifverbunds Naldo kann diese Ersatzbusse allerdings nicht anzeigen. Naldo hat seine Auskunft mit der baden-württembergischen Fahrplan-Auskunft „efa-bw.de“ verknüpft. Doch efa erhielt die Daten nicht rechtzeitig, sagte Naldo-Sprecherin Anne Lohmüller auf Nachfrage. Naldo verweist daher auf die Homepage der Bahn (bahn.de), die den Schienenersatzverkehr richtig anzeigt.

Am Freitagvormittag war der Schienenersatzverkehr offenbar noch nicht richtig eingespielt. Die eigentlich zuständige Bahn-Tochter RAB fährt ihn auch nicht selbst (mit ihren roten Bussen), sondern hat den Auftrag an ein Busunternehmen aus Deckenpfronn vergeben. Diese Busse zeigen ihr Fahrtziel nicht im großen Display an, sondern nur mit einem Zettel („SEV“) in der Windschutzscheibe. Am Freitagmorgen fuhr einer dieser Busse in Tübingen zwei Minuten früher los als angezeigt, war aber rechtzeitig in Rottenburg, wo der Anschlusszug nach Horb wartete.

Wer von Tübingen nach Rottenburg will, ist mit der Buslinie 18 (über Hirschau/ Wurmlingen) oder mit der Buslinie 19 (über Bühl) meist besser bedient.