Hühnchenrupfen am Ende der Welt
Weihnachtsfest ohne Krippenspiel und Einkaufsstress, dafür mit ganz speziellen Eindrücken
Auf den Stress vor dem Fest kann jeder gut verzichten. Aber was fehlt, wenn man in der Fremde feiert? Und was bekommt man stattdessen? Wie fühlt es sich an, wenn am Heiligen Morgen zuerst das Huhn gerupft werden muss, das später auf dem Teller liegt? Dem TAGBLATT haben ein paar junge Reisende geschrieben.
ANNIKA MAREIKE ENGEL (19) aus Reutlingen ist für ein Jahr zum Freiwilligendienst nach Ecuador. Sie wohnt bei einer einheimischen Familie in Santo Domingo de los Colorados und gibt Drei- und Vierjährigen Englischunterricht.
Dann wurde ich gerufen, um das Hühnchen zu rupfen. Der Anblick des toten Huhns schockierte mich anfangs. Ich überwand ein aufkommendes Ekelgefühl und machte mich nützlich. Das Zerschneiden der Körperteile überließ ich allerdings meiner Gastschwester. Immer mal wieder trafen sich unsere Blicke und sie lachte über meinen Gesichtsausdruck, der sich zwischen Faszination und Grauen nicht entscheiden konnte. Ich schnitt Zwiebeln und beobachtete, wie das Huhn langsam zu einem delikaten Leckerbissen wurde. Zum Huhn wurde selbstverständlich Reis serviert und eine Kartoffel. Die ganze Familie ließ es sich schmecken.
Dann wurden die Geschenke verteilt. Von meiner Gastfamilie bekam ich einen Geldbeutel und ein Kleid. In Ecuador ist es üblich, sich zu Weihnachten Kleidung zu schenken. Mit dieser Gewohnheit brach ich und verschenkte Creme, Nagellack, Ohrringe und Schokolade. Für meinen Gastvater gab es Rasierwasser. Die Freude über die Geschenke war groß. Mir fiel auf, dass sich die Familienmitglieder gegenseitig nichts geschenkt hatten. Ich fand das schade und bekam erklärt, dass gerade nur wenig Geld zur Verfügung stünde.
Wir probierten die Geschenke sofort aus. Ich lackierte meiner Gastmutter die Fingernägel und sie freute sich darüber, wie schön es aussah. Es war ein sehr geruhsames und liebevolles Fest mit wenig Schnickschnack. Dennoch wurde es dank der herzlichen Art meiner Gastfamilie zu einem der schönsten Weihnachtstage, die ich erleben durfte.
Was Silvester angeht: In Ecuador gibt es den Brauch, bunte Pappfiguren zu verbrennen. Ganz gleich, ob eine berühmte Persönlichkeit oder Sciencefiction-Figur. Wir Volontäre/Freiwillige wollen Silvester zusammen erleben und treffen uns daher in einer kleinen Provinzstadt. Ich bin gespannt auf den Jahreswechsel am Äquator.
TIM VÖLKERATH, (18) aus Derendingen ist mit seiner Schwester auf Weltreise.
Silvester werden wir alle zusammen am Strand von Mission Beach feiern und von dort einen Roadtrip nach Melbourne starten. Ende Januar geht es weiter in die USA: einige Tage nach Hawaii, dann mit dem Auto durch Kalifornien. Der Rückflug nach Hause ist Anfang März gebucht.
MELINA WELKER (18) aus Tübingen, seit Oktober Au-pair in Plano, Texas, USA
Die zwei Kleinen (vier und acht Jahre alt) mussten bei mir im Bett schlafen – weil wir ja so viel Besuch hatten. Morgens um sieben sind wir aufgestanden und haben natürlich gleich alle geweckt. Danach gab es die Geschenke (auch ich habe eine Menge von meiner Gastmutter bekommen :)). Jetzt spielen alle mit ihren Schätzen und zwar drinnen und draußen, weil es so schön warm ist.
RENEÉ KELLER aus Tübingen/Kilchberg und LINDA FATH aus Wannweil sind seit Oktober in Bafoussam (Kamerun). Bis März helfen sie dort in einem Krankenhaus und unterrichten an einer Schule Deutsch.
Vermisst haben wir die heimelige Atmosphäre, die traditionellen Dinge, die Weihnachten zuhause einfach ausmachen. Weihnachten ist hier eher ein Fest für Kinder und nicht für die ganze Familie. Reneé zum Beispiel fehlte die Weihnachtsaktion des CVJM und Linda der Besuch des Krippenspiels im Kindergottesdienst. Wir haben zwar hier zwei neue wundervolle Familien dazu gewonnen, dennoch vermissten wir unsere eigenen Zuhause an diesem Fest besonders. Unsere Gastgeber integrierten uns gut in die Feier und wir haben es deshalb auch genossen. Geschätzt haben wir die Möglichkeit, Weihnachten einmal anders zu erleben und ein hier eher weniger familiäres Fest in einer netten und offenen Gesellschaft zu verbringen.
An Silvester haben wir ein deutsches Essen mit Freunden aus dem Krankenhaus geplant. Wir wollen gemütlich zusammensitzen, um dann entspannt in das neue und hoffentlich genauso erfolgreiche Jahr 2016 starten.
P.S.: Den Schnee haben wir nicht vermisst, den gab es zuhause ja auch nicht. Wir hatten hier dafür staubige Weihnacht.
PIA SIENZ (18), FEE BARNEKOW (18) und HELENA WALTER (18) aus Tübingen sind seit Anfang Dezember in Asien unterwegs. Über Weihnachten waren sie in Myanmar (Burma) gestrandet.
Wir starteten den Tag mit einem leckerem Frühstück und warteten dann auf Fees Schwester Hannah, die uns aus Singapur besuchen kam. Diese Zeit nutzen wir, um uns um unseren Weihnachtsbaum, letztendlich eher eine Weihnachtspalme, zu kümmern, unter die unsere Geschenke kamen. Mit zwei Motorrollern machten wir uns dann auf den Weg ans Meer. Wir sammelten Muscheln, badeten, genossen die Sonne und den menschenleeren, kilometerlangen Strand.
Nach einem leckeren Abendessen im Restaurant unserer Unterkunft ging es ans Geschenkeauspacken. Später versuchten wir uns dann am WLAN, um mit unseren Lieben zuhause Kontakt aufzunehmen.
Den ganzen Tag über – und auch an den folgenden Feiertagen – blieb die Weihnachtsstimmung eher aus. Im ganzen Land ist der Buddhismus sehr verbreitet. Eigentlich feiern nur die wenigen Touristen hier wirklich Weihnachten. Manche Hotels versuchen zwar, mit geschmückten Plastikbäumen oder „Merry X-Mas“-Bannern die Touristen zu unterstützen, aber wirklich weihnachtlich war unser Weihnachten dieses Jahr nicht. Wir haben den Tag genossen und hatten alle Daheimgebliebenen im Hinterkopf. Am meisten gefehlt haben uns wohl einfach unsere Familien, natürlich das gute Essen und die vielen kleinen, aber doch wichtigen Traditionen.
Myanmar ist der erste Stopp unserer Reise. Wir werden über Neujahr nach Bangkok fliegen, um den Jahreswechsel auf einem der höchsten Dächer der Stadt zu verbringen. Auch unsere Freundin Marie wird dann zu uns stoßen. Danach verbringen wir etwa vier Wochen in Thailand, bevor es dann weitergeht nach Malaysia, Singapur und Indonesien. Am 15. März fliegen wir zurück nach Hause.
LEONIE ZOSEL (19) aus Kusterdingen, seit Ende Oktober für insgesamt acht Monate als Au-pair in Douglas, Cork (Irland).
Am 24. Dezember wurde das Essen für den nächsten Tag vorbereitet, abends ging es in die Kirche. Das eigentliche Weihnachten mit Geschenken und großem Essen wird erst am 25. gefeiert: Morgens um kurz nach sieben brachte Santa die Geschenke, die auf dem Wunschzettel standen (die Kinder glauben alle an Santa). Nachmittags kamen Verwandte zum Essen. Es gab Turkey und Ham mit Gemüse und Cranberrysoße. Ich hätte mich reinlegen können ;). Danach ging es an die Käseplatte und ans Dessert – ich war komplett erledigt.
Auf den Tischen lagen kleine Geschenke, Cracker genannt, die aussehen wie große Bonbons. Am Anfang dachte ich, das wäre nur Dekoration. Die Kinder wollten dann aber mit jedem ein Geschenk aufmachen: Man hält dabei die beiden Enden fest und zieht. Wenn das Geschenk reißt, knallt es kurz und derjenige, der das größere Stück der Verpackung zu fassen bekommt, hat gewonnen. In dem Cracker ist ein kleines Geschenk, eine Papierkrone und ein Witz. Nach dem ganzen Essen, Wein, Sekt und Kaffee wurden dann die Geschenke unter dem Tannenbaum ausgepackt.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag (St. Stephen’s Day) traf sich die Familie dann bei Oma und Opa. Es gab natürlich wieder leckeres Essen und Geschenke. Im fremden Land zu feiern, hat Spaß gemacht. Die Familie hat mich super aufgenommen. Natürlich habe ich ein bisschen meine Familie und Freunde vermisst. Ich denke, dass mich diese Tage noch enger mit der Gastfamilie verbunden haben.
Silvester werde ich mit zwei anderen Au-pairs in Cork oder Dublin feiern.