Sätze fürs Leben (15)

Ich brauch erst mal ein bisschen Distanz

Bei Paaren ist dieser Satz ein Warnsignal, er kündet meist vom nahenden Ende, das sich selbst noch nicht eingestanden wird oder längst klar ist, aber noch nicht ausgesprochen werden soll. Es ist die der Trennung vorausgehende Schamfrist. Auf Nachfragen wird meist mit dem Terminus „mal zur Besinnung kommen“ oder „Gefühle sortieren“ geantwortet.

11.08.2016

Von Peter Ertle

Zwar wird auch Besinnung gesucht und Gefühle werden sortiert wie sonst nur Socken, in erster Linie aber wird die erste emotionale Loslösung gesucht, vor allem die des Partners. Sie soll ihm die später fälligen Schritte erleichtern, ihn schon mal darauf vorbereiten. Man hat ja Mitgefühl.

Außerdem gewährt die Distanz endlich die Privatsphäre, die er/sie, braucht, um das Feld möglicher oder sich schon anbahnender neuer Partner ungestört sondieren, bestimmte Telefonate führen, Whatsapps, SMS und Mails schreiben zu können, ohne mit dem Handy immer aufs Klo gehen zu müssen. Falls bereits vorhanden, kann zur neuen Liebhaberin, zum neuen Freund gefahren werden, ohne dass der andere etwas merkt oder – falls er es schon weiß – unnötig belastet wird.

Selten kommt der Distanzsuchende nach seiner Distanzzeit zurück mit dem Ergebnis: Das tat aber gut, jetzt weiß ich, wie wichtig du mir bist. So selten wie der ebenfalls in solchen Situationen häufig gesagte Satz „Wir können doch Freunde bleiben“ tatsächlich zu Freundschaft führt. Der Satz mag im Augenblick des Aussprechens so empfunden werden, doch ist es vor allem der augenblickliche Leidensdruck, der sich nach wenigstens irgendetwas Bleibendem sehnt, dem anderen die Trennung und beiden ein schönes voneinander Loskommen erleichtern soll.

Ist die Augenblicksmotivation weg und der Zweck des Satzes erfüllt, stellt sich meist heraus, dass die Freundschaft dann doch nicht so gesucht wird, weil der jeweils andere nach der Trennung schon bald nicht mehr der Gleiche ist, der er in der Beziehung war – und den hatte man mit dem Freundschaftsangebot doch im Sinn.

Vor allem aber will der Verlassene immer mehr als der Verlasser und empfindet Freundschaft leicht als Kränkung. Dem Verlasser will er sie auch deshalb nicht gewähren, weil er ihm diese Entlastung nicht noch als Lohn hinterherschmeißen will.

Aber auch wer von solch klaren Unterscheidungen in Verlasser / Verlassene wenig hält (Auch so ein Satz fürs Leben: „Da gehören immer zwei dazu!“), meist gilt doch: Gegenseitige Schuldzuweisungen und unterschiedliche Vergangenheitsinterpretationen sind wenig freundschaftsförderlich. Gute Freunde raten dem Paar in solchen Situationen nach der Trennung auch meist: Einfach erst mal etwas Distanz zu haben.

PS: Es gibt auch Paare, die sich nach einer Distanz wieder finden wollen und genau das auch tun. Und solche, die nach einer Trennung beste Freunde bleiben, ohne Spannungen. Es gibt immer alles. Und das Gegenteil. Es ist nur nicht sehr wahrscheinlich.