Sport

Paneuropäische EM: Beispiellose Fußball-Party

Neun Jahre von der Idee bis zur Verwirklichung: Die paneuropäische EM beginnt. Der frühere Uefa-Boss Michel Platini wollte ein völkerverbindendes Event schaffen. Kann das Turnier diesen Anspruch erfüllen?

11.06.2021

Von CARSTEN MUTH

Der Vater der paneuropäischen Fußball-EM: der frühere Uefa-Präsident Michel Platini. Foto: Fabrice Coffrini/afp

Der Vater der paneuropäischen Fußball-EM: der frühere Uefa-Präsident Michel Platini. Foto: Fabrice Coffrini/afp

Ulm. Alle Blicke richten sich nach Rom. Wenn dort an diesem Freitagabend Italien und die Türkei zum Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft antreten, schauen Millionen Menschen zu. 24 Auswahlteams konkurrieren in den kommenden vier Wochen um den Titel. 51 Begegnungen stehen an, dann wissen wir, wer Europameister ist. Eigentlich sollte der Titelträger längst ermittelt sein. Die Pandemie aber machte den Organisatoren des ursprünglich für den Sommer 2020 geplanten Turniers einen dicken Strich durch die Rechnung. Das Corona-Virus hatte den Kontinent im Griff, Covid-Impfstoffe waren noch nicht verfügbar. Die Menschen gingen auf Abstand zueinander. Der Spielbetrieb ruhte.

Nun aber, mit zwölf Monaten Verspätung, geht es also los. Vielerorts hat sich die Corona-Lage entspannt, die Fallzahlen sinken. Und es beginnt eine EM, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Mit gleich elf Gastgeber-Ländern. Womit der Wunsch des früheren Uefa-Präsidenten Michel Platini Wirklichkeit wird, der im Sommer 2012 das erste Mal für eine „Euro in ganz Europa“ warb. Und damals prominente Unterstützer wie Gianni Infantino hatte. Der Schweizer war einst Uefa-Generalsekretär, heute ist er Präsident des Weltfußballverbands Fifa.

Schon im Dezember 2012 machte das Exekutivkomitee der Europäischen Fußball-Union den Weg frei. Das Gremium gab grünes Licht für die „Euro 2020“ – und warb mit Verve für die paneuropäische EM. Auch weil sich der Verband damals schwer getan hatte, einen Veranstalter zu finden, der das Großereignis alleine stemmt und alle Bedingungen des Verbands erfüllt.

Platinis Wunsch lautete: Das Turnier sollte nicht nur ein großes und buntes Fest werden, sondern ein völkerverbindendes Ereignis. In den Worten seines Generalsekretärs Infantino klang das damals so: „Wenn man wie wir in Europa den besten Fußball hat, mit den besten Stadien und den schönsten Städten, werden wir die größte Party aller Zeiten organisieren, überall in Europa, im Sommer 2020.“

Hochtrabende Töne, die inzwischen von der Zeit kassiert worden sind. Zu viel ist geschehen. Auch und vor allem Unvorhergesehenes. Platini und Infantino konnten vor neun Jahren nichts von der Corona-Plage ahnen. Das tückische Virus und die Gefahr, die von diesem nach wie vor ausgeht, haben die Rahmenbedingungen für das Turnier erheblich beeinflusst. So müssen sich die Teams strengen Vorgaben unterwerfen. Sicherheit geht vor.

Bloß nichts riskieren, was das Turnier gefährden könnte, lautet die Devise. Also leben und trainieren die Nationalspieler in ihren Blasen, abgeschottet von der Außenwelt. Das DFB-Team ist in einem schicken Camp auf dem Gelände von Partner Adidas im fränkischen Herzogenaurauch untergebracht. Der Kontakt zu den Fans bleibt dort auf Social Media beschränkt.

Die Dimensionen dieses EM-Turniers hingehen sind immens, die Logistik ist gewaltig, die Klimabilanz fragwürdig, wie Kritiker anmerken. Die Spielstandorte sind über Europa verteilt – und reichen sogar über den Kontinent hinaus.

Denn auch Asien wird bespielt. In Aserbaidschans Hauptstadt Baku finden drei Gruppenspiele und ein Viertelfinale statt. Zwischen Baku und dem Spielort Glasgow in Schottland liegen tausende von Flugkilometern und drei Zeitzonen.

Apropos Baku. An dem Austragungsort gibt es die meiste Kritik. Schließlich berichten Menschenrechtsorganisationen seit Jahren von politisch motivierten Verhaftungen in dem Land, von Folter und anderen Formen der Misshandlung. „Aserbaidschan als Austragungsstandort zu wählen ist nicht akzeptabel“, sagte Viola von Cramon, Grünen-Abgeordnete im EU-Parlament, jüngst dem Deutschlandfunk. In einem Evaluierungsbericht der Uefa zu Aserbaidschan ist von den gravierenden Missständen nichts zu lesen. Dort heißt es: Man wolle mit dem Standort neue Märkte erschließen.

Vor diesem Hintergrund ist offen, welche Begeisterung das Turnier in den kommenden Wochen tatsächlich entfachen kann. „Das Turnier soll wieder Lebensfreude geben“, hofft der frühere Nationalspieler Per Mertesacker, der die EM als ZDF-Experte begleitet. Ein echtes EM-Gefühl, das weiß auch Mertesacker, entsteht jedoch wohl nur, wenn das Turnier auch und vor allem ein Gemeinschaftserlebnis wird. Ob das gelingt? Möglich erscheint es durchaus. Weil nach einem Jahr Geisterspiel-Grusel wieder Zuschauer in den Stadien zugelassen sind. In München werden am kommenden Dienstag immerhin 14?000 Fans den Auftakt der deutschen Mannschaft gegen Weltmeister Frankreich erleben. Und auch das Rudelgucken, die Public Viewings, sind, zumindest in begrenzter Form, vielerorts möglich.

Nun kommt es aus deutscher Sicht „nur“ noch drauf an, dass Jogis Jungs performen. Das DFB-Team hat mit dem Vorrundenaus bei der WM 2018 und vielen enttäuschenden Auftritten im Anschluss Kredit bei den Anhängern verspielt. Die Europameisterschaft bietet Bundestrainer Joachim Löw und seinen Schützlingen die Chance, die Dinge wieder gerade zu rücken – und das Fußballer-Fieber zu entfachen.

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Erstellt:
11.06.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 18sec
zuletzt aktualisiert: 11.06.2021, 06:00 Uhr

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