Zwischen den Zeilen

Zwischen den Zeilen

Zwischen vielen Fragen zu Dichtung, Digitalisierung, Wahrheit und Affären entspinnt Olivier Assayas ein humorvolles Sittenbild des Pariser Literaturbetriebs.

04.06.2019

Von Madeleine Wegner

Zwischen den Zeilen

Man wiederholt immer mehr geistreiche Worte – das ist sehr französisch.“ Das geht als Argument für Twitter durch. Und könnte zugleich ein bemerkenswert ehrliches Resümee des Films sein. In einer geschmackvoll eingerichteten Pariser Wohnung diskutieren Alain und seine Frau Selena (Juliette Binoche) mit ein paar Freunden den digitalen Wandel. Bedeutet das Internet einen demokratischen Zugang zur Kunst oder offenbart es schlichtweg die verkümmerten literarischen Ansprüche der Gegenwart? Hat das gedruckte Buch überhaupt noch einen Wert?

„Wir können gut auf Bücher verzichten“, sagt Verleger Alain (Guillaume Canet) provozierend. Außerdem laufen Hörbücher eh viel besser. Sein Verlag befindet sich im Umbruch. Welch ein Glück, dass er die junge, attraktive Mitarbeiterin Laure (Christa Théret) hat, die ihm zeigt, wie das mit der Digitalisierung funktioniert. Schriftsteller Léonard (herrlich zerzaust und kauzig: Vincent Macaigne) hält am gedruckten Buch fest – nur fehlt ihm ein Verlag für sein neuestes Werk, in dem er mal wieder eine seiner Affären durch den literarischen Fleischwolf dreht. Die Schauspieler in diesem amüsanten Sittenbild zu beobachten, ist ein Vergnügen. Schon die Eingangsszene ist bezeichnend: Alain und Léonard parlieren im Bistro, während der Zuschauer rätselt: Warum wirkt die Situation so angespannt? Was steht zwischen den beiden?

In der zweiten Hälfte geht der Komödie etwas die Luft aus, die Dialoge wirken zunehmend ermüdend, die Mitglieder der bunten Pariser Intellektuellen-Clique tauschen allmählich die immer gleichen Argumente zu den Vor- und Nachteilen der Digitalisierung aus. Dafür nehmen die zwischenmenschlichen Verstrickungen zu. Jeder scheint eine Affäre zu haben – was längst kein Grund für dramatische Ehekrisen ist.

Essen, trinken, rauchen, lieben und diskutieren– das sind, gewürzt mit einigem Humor, die Hauptzutaten von „Zwischen den Zeilen“. Der Film wirkt wie eine lockere französische Sommerkomödie, spielt jedoch überwiegend im Herbst: Die Blätter fallen und die kalte Luft lässt den Atem der Debattierenden kondensieren, sodass die Wölkchen wie Sprechblasen wirken. Oder steht diese symbolisch aufgeladene Jahreszeit gar für das Ende eines Zeitalters?

Die Macht des Internets thematisierte Olivier Assyas bereits 2002 in „Demonlover“, in „Personal Shopper“ brachte er den Einfluss von Smartphones auf die Leinwand. Die wortreichen Digitalisierungs-Debatten in seiner aktuellen Regie-Arbeit liefern keine wirklich neuen Ansätze – dafür jedoch eine Anregung, vermehrt über den Wandel zu sprechen. Denn wie Digitalisierungsexpertin Laure sagt: „Wir müssen die Veränderung gestalten, nicht über uns ergehen lassen.“

Sehr französische Komödie, in der viel geliebt, fremdgegangen und – vor allem – unglaublich viel geredet wird.

Zwischen den Zeilen

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Erstellt:
04.06.2019, 12:32 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 17sec
zuletzt aktualisiert: 04.06.2019, 12:32 Uhr

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