Wo ist Kyra?

Wo ist Kyra?

Nach dem Tod ihrer Mutter verliert eine zurückgezogen lebende Frau den letzten Halt. Jeder Tag wird für sie zu einem Kampf ums Überleben.

25.06.2019

Von Madeleine Wegner

Wo ist Kyra?

Das Zimmer ist in Dunkel getaucht, in Brauntöne und schummriges Licht. Es könnte heimelig und wohlig wirken, doch die Wohnung von Kyra und ihrer kranken Mutter erscheint auf eigenartige Weise düster und beklemmend. Das Tageslicht dringt kaum durch die dicken Gardinen hindurch, ein Schutz vor der Außenwelt – behütend und doch verzweifelt. Obwohl hier drinnen eine liebevolle Atmosphäre herrscht, denn Kyra kümmert sich rührend und aufopfernd um ihre alte, gebrechliche Mutter. Sie lässt ihr ein Bad ein, seift ihr vorsichtig den Rücken ein, streichelt ihre Hand, spricht mit ihr in sanftem Ton. Die Mutter dankt es ihrer Tochter mit Liebe und Aufmerksamkeit, mit kleinen Scherzen und mit etwas Geld.

Nicht nur drinnen in der Wohnung, auch draußen auf den Straßen New Yorks scheint es nie richtig hell zu werden: Das Dämmerlicht lastet auf Kyra, die nur für eine kurze Besorgung hinauseilt. Sie verschmilzt mit dem schmutzigen Grau einer unbarmherzigen Großstadt. Hier draußen wird sie unbedeutend, nur eine von vielen.

Damit nimmt die außergewöhnliche und gelungene Kamera von Bradford Young (der für „Arrival“ als erster afroamerikanischer Kameramann eine Oscar-Nominierung erhielt) bereits vorweg, was bald geschehen wird: Die Stimmung kippt bedrohlich. Und im schweren Dämmerlicht steht die Frage: wird es licht oder wird Kyra vollends vom Dunkel verschlungen?

Mit dem Tod ihrer Mutter verliert Kyra den letzten Halt, ihr Zuhause und jene kleine, doch so wichtige finanzielle Sicherheit.

Kyra sucht ein Zuhause und landet an der Theke einer Bar. Wie es das Schicksal so will, lernt sie Doug (Kiefer Sutherland) kennen, der sein Leben konsequent in den Griff bekommen will. Es entwickelt sich eine schöne und zaghafte Romanze. Doch sie steht nicht im Zentrum der Geschichte, die der in New York lebende nigerianische Regisseur Andrew Dosunmu erzählt.

Vielmehr geht es um eine Frau, die immer weiter abrutscht. Vielleicht hat sie irgendwann einen Fehler gemacht. Vielleicht hat sie einen entscheidenden Moment verpasst. Vielleicht hat sie mit der Pflege ihrer Mutter einfach andere Prioritäten gesetzt. Was es auch war: Jetzt findet Kyra nicht mehr auf den Weg und in die Gesellschaft zurück. Sondern rutscht nach dem Tod ihrer Mutter mit jedem Tag weiter ab. Seit zwei Jahren sucht Kyra einen Job – vergeblich. Mit über 50 Jahren scheint sie zu alt zu sein. Ja, sie ist sichtlich gealtert, was in ihrem Fall heißt: von Lebenskrisen gezeichnet.

Michelle Pfeiffer ist phänomenal in der Rolle der Kyra, die sie so eindringlich, voller Stolz, Eleganz und Verletzlichkeit spielt. So bleibt noch die eine Frage: Wo ist Kyra? Kyra wandelt im Zwielicht – sehr nah am Abgrund.

Hervorragend gefilmt und eindringlich gespielt, macht das Drama deutlich, wie schnell ein Mensch abrutschen kann.

Wo ist Kyra?

Zum Artikel

Erstellt:
25.06.2019, 01:14 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 25sec
zuletzt aktualisiert: 25.06.2019, 01:14 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport