The Sisters Brothers

The Sisters Brothers

Zwei Brüder räumen auf mit jeglicher Marlboro-Nostalgie in God’s own Country: ein melancholisch-raues Sittengemälde mit starken Darstellern.

07.03.2019

Von Wilhelm Triebold

The Sisters Brothers
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Wie hielt es der Cowboy eigentlich mit der Mundhygiene? Das fragte lange Zeit niemand, wenn sich im Wilden Westen der Pulverdampf verzog und stets das Gute siegte. Auch weitere menschliche Bedürfnisse, zu denen die Körperpflege selten gehörte, blieben in solchen zünftigen Western außen vor.

Doch jetzt sehen wir Jason C. Reilly als Eli Sisters vorsichtig die gerade käuflich erworbene Zahnbürste ansetzen. Er schrubbelt bedächtig und scheint Gefallen daran zu finden. Schnelle Kontrolle, ob noch Mundgeruch strömt. Und auch ein Wasserklosett in der Boomtown San Francisco weckt sein ungläubiges Interesse.

Jacques Audiards Film „Sisters Brothers“ ist beileibe kein Revolverheldenepos der üblichen Art. Er lotet vielmehr die unzivile, gewaltige Welt, wie sie sich im alten Amerika erst zusammenfügt, neu aus. Eine „verabscheuungswürdige Welt“, wie einer der Protagonisten irgendwann trotzig-traurig sagt. Aber sie haben halt keine andere.

Die Gebrüder Sisters bilden ein sinistres Familienunternehmen, das für einen dubiosen „Commodore“ (welcher Regisseur kann es sich leisten, einen Hollywood-Promi wie Rudger Hauer praktisch gar nicht auftreten zu lassen!) die mörderische Drecksarbeit erledigt. Anfangs ballern sie im gnädigen Dunkel die Insassen einer Ranch zusammen. Später dann pflastern Grizzlys, Russen und sonstige Quertreiber als Leichen ihren Weg.

Zum tumben Actionstreifen gerät dieser sehenswerte Western allerdings nie. Eher zum Road- beziehungsweise Horse-Movie in der Spur des legendären Oregontrails. Westward ho! – dem lockenden Gold entgegen, das ein chemisch bewanderter Sozialutopist mit einer Speziallauge abschöpfen will.

Auf ihn sind Eli und Charlie Sisters angesetzt, und zwar auf derselben Fährte wie noch ein Agent des „Commodore“. Sie erliegen alle dem Goldrausch und dem folgenden Kater. Die Brüder lässt der Film auf langen Ritten und in einsamen Lagerfeuernächten räsonnieren: Zwei un(frei)willige Helfershelfer, durchs Geschäftsmodell aneinanderbebbend wie Pech und Schwefel. Wobei zuerst der Schwefel überwiegt, gegen Ende das Pech.

Joaquin Phoenix spielt den jüngeren Sisters-Bruder Charlie als einen lebensmüd-tollkühnen Glücksritter, den furcht- und gewissenlose Selbstverachtung anfangs unüberwindbar erscheinen lässt. Eli, der Ältere, ist der Reflektiertere, ein todernster Killer mit zartwunder Seele, die drohenden Höllen-Abgründe zumindest erahnend. Eine Schlüsselszene dürfte sein, wie er eine verschüchterte Hure mit unerwartet-beängstigender Sanftheit in die Flucht schlägt. Es gibt ansonsten wunderschöne Bilder von wunderschönen Landschaften, in denen das Abenteuer von Freiheit und der Gier nach Glück und Gold im Desaster mündet. Und selbst das Happyend, das sei verraten, bleibt hier umflort: Die Westernhelden finden zwar heim. Die Blessuren aber bleiben. In Frieden ruhen sie wohl nie.

Kein üblicher Western. Mit vielen Toten und Volten zwar. Aber auch mit ungewöhnlich reflektierten Westernhelden.


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Erstellt:
07.03.2019, 09:48 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 19sec
zuletzt aktualisiert: 07.03.2019, 09:48 Uhr

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