Ray & Liz

Ray & Liz

Vater säuft, Mutter raucht, das Leben verfällt: Richard Billingham erzählt in seinem Drama von einer Kindheit am Rande der Gesellschaft.

07.05.2019

Von Dorothee Hermann

Ray & Liz

Es gibt Menschen, die bezahlen sehr teuer für alles, was sie je falsch gemacht haben. Ray (als älterer Mann: Patrick Romer) ist so ein Verdammter. Er verbringt seine Tage allein in einem schmuddligen Zimmer, das er praktisch nicht mehr verlässt. Mit billigem Fusel aus riesigen Plastikflaschen hält er sich notdürftig am Leben.

Beinahe möchte man tief Luft holen, als sich das Bild endlich über einer hügeligen Landschaft weitet. Doch alsbald zeigen Rückblenden ein weiteres, beklemmendes Gehäuse: die bizarre, vollgestopfte, bunte und verdreckte Welt, die Ray als Ehemann und Vater (in der jüngeren Ausgabe: Justin Salinger) mit seiner Frau Liz (Ella Smith) teilte. Irgendwann muss er auch einen Job gehabt haben, in einer schier unvordenklichen Vorvergangenheit.

Das Familienleben im Film setzt mit der Abfindung ein, die er in einen stattlichen Alkoholvorrat umgesetzt hat. Den nimmt ein übler Verwandter dem Pechvogel umgehend ab.

Zu diesem Zeitpunkt hat sich der ältere Sohn Richard längst auf eine Beobachterposition zurückgezogen. Doch der kleine Jason kann sich noch nicht abgrenzen und wird unter anderem Zeuge eines sadistisch gefärbten Gewaltausbruchs. Wie durch ein Wunder entwickelt er, völlig sich selbst überlassen, eine stoische Lebenstüchtigkeit, mopst sich ein bisschen Geld für ein Ticket für den Zoo.

Wenn er nach Hause kommt, interessiert es niemanden, ob er überhaupt in der Schule war. Meist liegen die Eltern noch völlig weggetreten im Bett. Jason muss selbst sehen, dass er etwas zu essen findet und fischt als Aufstrich für zwei kalte Scheiben Toast etwas Undefinierbares in der Farbe von Rotkohl oder Roter Bete aus einem Glas.

Es ist schwer auszuhalten, wie lange die dysfunktionale Familie sich selbst überlassen bleibt, ohne dass es jemanden kümmert. Erst als Jason in einer Winternacht im Freien beinahe erfriert, schreiten die Behörden ein.

Leider lässt der Film offen, wie Liz so wurde, wie sie ist, fast bewegungslos, monumental vor einer Stickerei oder einem Puzzle sitzend, dabei von einer unbändigen Wut erfüllt, die gelegentlich aus ihr herausbricht. Von ihrem Mann lässt sie sich bedienen und mault, wenn der von ihm zubereitete Tee für ihren Geschmack zu bitter ausgefallen ist.

Die Freiheit, sich zugrundezurichten als eisiger Kern einer Gesellschaft, die ihre Benachteiligten sich selbst überlässt.

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Erstellt:
07.05.2019, 16:23 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 09sec
zuletzt aktualisiert: 07.05.2019, 16:23 Uhr

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