Land des Honigs

Land des Honigs

Poetischer Dokumentarfilm über eine mazedonische Frau und ihr Bienenvolk, das von Veränderungen bedroht ist.

18.11.2019

Von Madeleine Wegner

Hatidze steigt den schmalen Pfad hinauf in die Berge. In schwindelerregender Höhe klettert sie am Felsen entlang zu einem Spalt. Sie löst eine Steinplatte und schon schwirren die wilden Bienen um sie herum. „Eine Hälfte für mich, eine Hälfte für euch“, sagt sie, während sie die erste Wabe aus der Felsspalte nimmt.

Manchmal fährt Hatidze in die Stadt, nach Skopje, um ihren Honig zu verkaufen und ein paar Sachen für sich und ihre Mutter einzukaufen. Die beiden Frauen leben in einem winzigen, halb verfallen wirkenden Steinhäuschen. Sie sind die einzigen Bewohner in dem abgelegenen und seit Jahrzehnten verlassenen Dorf. Das ändert sich, als eines Tages eine Familie mit ihren Wohnwagen, sieben lauten Kindern und unzähligen Kühen anreist und einen Teil des Dorfes in Beschlag nimmt.

Hatidzes ruhiger Alltag verändert sich dadurch auf einen Schlag. Anstatt sich zu ärgern, freundet sie sich mit den neuen Nachbarn an, sie verbringt Zeit mit den Kindern, schenkt einem der kleinen Mädchen ein Kätzchen und beantwortet auch Hussein, dem Familienoberhaut, geduldig die Fragen zum Imkern.

Die Familie, in der Gewalt, Schuldzuschreibungen, patriarchale Strukturen, Armut und Verzeiflung offenbar alltäglich sind, wird so zum Gegenstück – und die Geschichte zur Allegorie für ein auf das Wesentliche reduzierte Leben im (gefährdeten) Einklang mit der Natur – freilich ohne das karge Leben zu romantisieren. Es gibt kein Wasser, keinen Strom, und es ist unvorstellbar, wie kalt es im Winter in Hatidzes Hütte sein muss. Rührend ist es, wie sich die Frau um ihre kranke, bettlägerige Mutter kümmert, die ihrerseits so bescheiden ist: „Und sogar Wassermelone gehabt heute“, sagt sie zufrieden und legt sich hin, um weiterzuschlafen.

„Land des Honigs“ ist der zweite gemeinsame Dokumentarfilm von Tamara Kotevska und Ljubomir Stefanov. Mit einem vierköpfigen Team haben die Filmemacher drei Jahre lang an insgesamt hundert Tagen gedreht. Und mit Hatidze Murativa haben sie eine unglaublich starke Protagonistin gefunden. Für Nordmazedonien geht der bereits vielfach ausgezeichnete Film ins Rennen um die Oscars.

Manchmal ist es schwer zu glauben, dass das Filmteam diese Geschichte tatsächlich gefunden und nicht selbst entwickelt hat: Die Grenze zwischen Dokumentar- und Spielfilm scheint verschwommen. Vielleicht, weil der knapp 90-minütige Film das Kondensat aus 400 Stunden Filmmaterial ist. Die junge Filmemacherin Kotevska hat es so formuliert: „Wenn du lange genug bleibst, wird jede Realität zur Fiktion.“

Ein erstaunlicher, beeindruckender Film, der weit über eine „Rettet die Bienen“-Botschaft hinausgeht.

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