Eine moralische Entscheidung

Eine moralische Entscheidung

Ein Pathologe verletzt bei einem Unfall ein Kind. Der Junge stirbt – angeblich jedoch an einer Lebensmittelvergiftung.

18.06.2019

Von Madeleine Wegner

Kaveh Nariman ist ein gewissenhafter Mediziner. Die Ergebnisse seiner eigenen Untersuchungen und vor allem auch die seiner Kollegen prüft der Pathologe sehr genau. Doch eines Abends passiert etwas, das sein Leben komplett auf den Kopf stellt: Auf der Fahrt durch die Dunkelheit auf einer vielbefahrenen Straße wird er von einem anderen Wagen abgedrängt und rammt dadurch das neben ihm fahrende, vollbesetzte Mofa. Bei dem Unfall stürzt die komplette vierköpfige Familie.

Der Familienvater (Navid Mohammadzadeh) ist wütend. Doch Kaveh (Amir Aghaee) will die Polizei nicht rufen. Stattdessen bietet er dem Mann Geld an. Auch untersucht er den scheinbar unversehrten Jungen und rät, das Kind vorsichtshalber ins Krankenhaus zu bringen. An diesem Abend sind Welten aufeinandergeprallt: die des wohlsituierten Akademikers und die der Arbeiterfamilie, die jeden Tag ums Überleben kämpft. Die heile Welt und die der Schuld.

Denn am nächsten Tag, an seinem Arbeitsplatz in der Gerichtsmedizin, erfährt Kaveh, dass der achtjährige Junge, der bei dem Unfall vom Mofa gestürzt war, tot ist. Bei der Untersuchung des Leichnams deutet jedoch alles darauf hin, dass der Junge an einer Lebensmittelvergiftung gestorben ist.

Die beiden Paare – die Eltern des Jungen sowie der Pathologe und seine resolut auftretende Kollegin (Hedieh Tehrani) – verstricken sich daraufhin immer mehr in einem Netz aus Schweigen, Trauer und Gewissensbissen, aus nagendem Zweifel, Vorwürfen und fragiler Ehre. Denn eines wird deutlich in diesem Ringen um Wiedergutmachung: In ihrem Ehrgefühl sind die Männer letztlich von dem prüfenden und urteilenden Blick der Frauen abhängig.

Der zweite Kino-Film des iranischen Regisseurs Vahid Jalilvand feierte bei den Filmfestspielen in Venedig Premiere. Man kann dem Film zugutehalten, dass er einen Einblick in die iranische Gesellschaft ermöglicht, in das Verhältnis und die Dynamiken von Mann und Frau. Zudem vermittelt er eine vage Vorstellung davon, wie das iranische Rechtssystem funktioniert. Auch die Schauspieler sind meist überzeugend. Dennoch: Die Geschichte entwickelt sich kaum, sondern tritt bald auf der Stelle. Die Protagonisten wälzen immer und immer wieder die gleichen Fragen, fordern damit auch die Geduld des Zuschauers heraus. Das Drama gleicht einer Studie mit eher dokumentarischem Charakter, deren bedrückend quälende Grundstimmung sich auch in den verblassten Farben widerspiegelt.

Auch für den Zuschauer eine Herausforderung. Obwohl überzeugend gespielt, tritt die Geschichte lange auf der Stelle.

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