Corpus Christi

Corpus Christi

Gerade aus dem Jugendknast entlassen, gibt sich der 20-jährige Daniel in einem kleinen polnischen Dorf als Priester aus und bringt frischen Wind in das Gemeindeleben.

01.09.2020

Von Madeleine Wegner

Corpus Christi

Kein Seminar akzeptiert Verurteilte wie dich“, sagt Pater Tomasz. Daniel ist zutiefst enttäuscht. Der 20-Jährige steht kurz vor der Entlassung aus dem Jugendknast. Und er wünscht sich nichts sehnlicher als Priester zu werden. „Jeder von uns ist ein Priester Jesu“, hatte Pater Tomasz gerade noch während der Messe inmitten der jungen Sträflinge gesagt.

Doch statt ins Priesterseminar soll Daniel nach seiner Entlassung ins Sägewerk. Der Bus bringt ihn in ein abgelegenes Dorf. Kurz vor der Werkstatt dreht Daniel noch einmal um und geht in die kleine Kirche des Ortes. Durch eine Reihe von Zufällen wird dies für die nächsten Wochen seine neue Arbeitsstätte. Der vorbestrafte junge Mann gibt sich als Pater Tomasz aus und überrascht die Gemeinde mit seiner unkonventionellen Art: Bei der Beichte verordnet er zur Buße einen Fahrradausflug, gemeinsam mit den Trauernden schreit er alle Gefühle heraus, wie er es im Knast gelernt hat, und in der Messe spricht er von eigenen Erfahrungen statt von oben herab.

Daniel lügt und betrügt. Dennoch scheint er so aufrichtig wie kaum ein anderer Mensch in der Gemeinde. Szenen gnadenloser Gewalt im Knast stehen der nur scheinbar friedlichen Gemeinde gegenüber, die ihre eigene Form von stummer Gewalt praktiziert. Ein unausgesprochenes, ungeklärtes Trauma lastet auf der zerrütteten Dorfgemeinschaft.

Bartosz Bielena ist herausragend und glaubwürdig in der Rolle des Daniel, die in ihrer Vielschichtigkeit eine große Herausforderung bietet. Die bedrückende Stimmung in dem kleinen Dorf einzufangen, aber auch, eine Ahnung von Daniels Angst vor dem Ertapptwerden zu vermitteln, gelingt der Kamera (Piotr Sobocinski Jr.) besonders gut.

Mit „Corpus Christi“ hat der polnische Regisseur Jan Komasa das Drehbuch von Mateusz Pacewicz umgesetzt. Es ist inspiriert von wahren Begebenheiten, als sich 2011 ein junger Mann in einer kleinen polnischen Gemeinde monatelang als Priester ausgab. Doch in diesem beeindruckenden Drama geht es um weit mehr als nur um die Frage, wie eine Gemeinde auf einen Kriminellen hereinfallen kann.

Es geht um soziale Rollen und Gefüge, um die Mechanismen einer Gemeinschaft. Es geht um die Frage nach dem richtigen und dem falschen Weg, es geht um Glaube, Zweifel und um Werte, ebenso um Verlust und um Vergebung. „Der Glaube wird oft verspottet. Aber ich glaube, dass wir alle besessen vom Glauben sind“, sagte Komasa kürzlich in einem Interview. Sein Film wird für Polen ins Rennen um die Oscars gehen.

Herausragend gespielt. Beleuchtet vielschichtig große Themen und die Frage: Wer darf im Namen Gottes sprechen?

Corpus Christi

Zum Artikel

Erstellt:
01.09.2020, 14:33 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 18sec
zuletzt aktualisiert: 01.09.2020, 14:33 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport