Keiler in den Knast

Zwei Brüder im Enkeltrick-Prozess zu Haftstrafen verurteilt

Das Landgericht hat zwei Brüder wegen bandenmäßigen Betrugs zu Freiheitsstrafen verurteilt. Gegen einen dritten wird weiter verhandelt.

13.10.2016

Von Hans-Jörg Schweizer

Symbolbild: Sommer

Symbolbild: Sommer

Dritte Runde im Enkeltrick-Prozess: Dieses Mal saßen am Landgericht Keiler und Logistiker auf der Anklagebank. So heißen im Jargon die Betrüger, die vom Ausland aus ältere Leute anrufen, es geschickt verstehen, sich als Verwandte in Geldnot auszugeben und ihre Opfer dazu bringen, Wildfremden zigtausend Euro Bargeld zu übergeben. Eine solche Abholerin, Läufer genannt, schnappte die Polizei bei einem Betrugsversuch 2014 in Tübingen. Sie wurde, ebenso wie ihr Mann, den die Polizei dank eines Blitzer-Fotos identifizierte, im März 2015 wegen ähnlicher Taten zu drei Jahren Haft verurteilt.

Die Aussagen der Läufer brachten die Ermittler auf die Spur der Drahtzieher aus Frankfurt am Main: Ein älteres Roma-Paar, das sich nach Polen abgesetzt hatte. Diese beiden Köpfe der Bande tappten aber in eine Falle der Polizei, als sie sich nach Deutschland wagten, um auf dem Frankfurter Rathaus ihre Sozialhilfe zu sichern. Die Frau wurde 2015 in Tübingen zu neun Jahren, ihr Mann zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Die Läufer hatten zudem die Namen der Keiler und Logistiker preisgegeben: Drei Söhne des Paares. Sie wurden im Februar 2016 in Polen festgenommen. Die polnischen Behörden lieferten die Männer zwar nach Deutschland aus, allerdings erkannten sie nur die Delikte als Auslieferungsgründe an, bei deren Verübung sich die Brüder nicht in Polen aufgehalten hatten. Ein Grund dafür, dass beim gestrigen Urteil nur die Fälle aus Tübingen, Wuppetal, Jüchen-Rath und Heidelberg geahndet werden konnten.

Anhand von Telefonmitschnitten, welche die Polizei bei mehreren Enkeltrick-Betrugsversuchen in halb Deutschland gemacht hatte, konnte die Staatsanwaltschaft den drei Angeklagten ursprünglich zehn Fälle gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Betrugs vorwerfen. Bei denen dirigierten die Brüder in wechselnder Besetzung als Logistiker die Geldübergabe. Oder sie spielten zum Beispiel den vermeintlichen Neffen am Telefon, der für einen Immobilienkauf dringend 10000, 15000 oder gar 50000 Euro Bargeld brauchte: Wegen eines angeblichen Zahlendrehers habe eine Überweisung nicht geklappt, so die Story der Betrüger.

In sieben der zehn Fälle erbeuteten die Brüder offenbar insgesamt 163000 Euro. Die Läufer bekamen davon 40 Prozent, die Hintermänner 60, erklärte der leitende Ermittler von der Tübinger Kripo. Dreimal blieb es beim Versuch. So auch 2014 in Tübingen, als eine 75-jährige Frau alles richtig machte. Sie informierte die Polizei über den verdächtigen Anruf und meisterte die Fangfragen des Keilers souverän, sodass die Betrüger, welche die Geldübergabe aus Spanien steuerten, erst zu spät Gefahr witterten. Da hatte die Polizei ihre Läuferin schon geschnappt.

Später sollen den Läufern in der Justizvollzugsanstalt sechsstellige Beträge Schweigegeld angeboten worden sein, berichtete der Kriminalhauptkommissar. Sie packten dennoch aus und identifizierten die Stimmen der drei Brüder in den Tondokumenten. Aus dem Millionenvermögen der Roma-Sippe der Läufer, Goldschmuck aus einem Schließfach, wurden die Opfer zwar finanziell entschädigt. Staatsanwalt Tobias Freudenberg betonte aber, dass viele Betrogene noch immer psychisch unter den Taten zu leiden hätten. Die Brüder hätten sich gezielt die schwächsten Opfer ausgesucht.

Richter Thomas Geiger hatte mittags einen sogenannten Verständigungsvorschlag gemacht, dem Staatsanwaltschaft und die Verteidiger zweier Brüder zustimmten: Sie legten Geständnisse zu den vier verbliebenen Anklagepunkten ab. Ein Bruder wurde zu vier Jahren und zehn Monaten, der ander zu einem Jahr ohne Bewährung verurteilt.

Den Opfern bleibt nun aber wohl trotzdem nicht erspart, vor Gericht aussagen zu müssen, denn der dritte Bruder nahm das Angebot nicht an. Gegen ihn wird weiter verhandelt. Vermutlich monatelang.

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Erstellt:
13.10.2016, 21:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 45sec
zuletzt aktualisiert: 13.10.2016, 21:00 Uhr

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