Berlinale

Zum Heulen komisch

Die Weltlage ist derzeit weniger zum Lachen. Entsprechend tragisch geht es auf der Leinwand zu. Wobei – es kommt auf die Perspektive an.

13.02.2017

Von MAGDI ABOUL-KHEIR

Kein Schmäh von gestern: Josef Hader am Ende in „Wilde Maus“.  Foto: Wega Film

Kein Schmäh von gestern: Josef Hader am Ende in „Wilde Maus“. Foto: Wega Film

Berlin. Man könnte weinen, wenn es nicht so lustig wäre. Nur mit einer Unterhose bekleidet, sitzt Georg im Schnee. Mit Whiskey und Schlaftabletten. Er hat in den letzten Tagen derart viel Mist gebaut, dass Selbstmord eine naheliegende Idee ist. Nur leider lösen sich die blöden Tabletten nicht im Whiskey auf. Und dann kommt auch noch ein Schneepflug vorbei. Georg muss nackt türmen.

Ist ein Suizidversuch witzig? In „Wilde Maus“, dem Regiedebüt des vielfach preisgekrönten Kabarettisten und Schauspielers Josef Hader, schon. Wie die vielen anderen schrecklichen Dinge, die in diesem Film passieren.

Es bleibt einem dieser Tage ja wahrlich oft im Halse stecken, das Lachen. Die Weltlage und so. Das spiegeln auch die Filme wider, die auf der Berlinale zu sehen sind. Da geht es um Tragödien und Terror, um Gewalt und Garstigkeit, um Zwist und Zwang. Und doch, es gibt sie, die Momente, in denen man schmunzeln kann, und sogar die, in denen man richtig losprusten möchte. „Wilde Maus“ hat viele davon.

Das Leben als Achterbahn

Hader spielt Georg, der als Musikkritiker in Wien einen guten Job hat und mit seiner jüngeren Frau, der Therapeutin Johanna (Pia Hierzegger), ein gutes Leben führt. Probleme bereitet da höchstens die Kaffeemaschine: „Ist der Druck zu hoch, wird der Kaffee sauer, ist er zu niedrig, wird der Kaffee bitter.“

Doch von einem Tag auf den anderen ist alles anders: Georg wird von seinem Chefredakteur (Jörg Hartmann) gekündigt – Sparmaßnahmen, das sollte man nicht persönlich nehmen. Doch wie sonst? Georg ist allerdings zu feige, seiner Frau die Wahrheit zu sagen, treibt sich stattdessen im Prater rum. Dort fährt er mit dem Kinderzug im Kreise und hilft seinem ehemaligen Hallodri-Mitschüler Erich (Georg Friedrich), der sich auch mehr schlecht als recht durchs Leben hangelt, eine marode Achterbahn namens „Wilde Maus“ wieder zum Laufen zu bringen. Das klingt metaphorisch, bleibt aber doch ziemlich konkret und handfest.

Zu seiner Frau eilt Georg nur noch nach Hause, wenn sie ihn anruft, weil sie ihren Eisprung hat – sie möchte ein Kind, Georg eigentlich nicht. Ohnehin hat er anderes im Kopf: Er möchte es seinem Ex-Chefredakteur heimzahlen. Des Nachts verkratzt also der gebildete, gesittete Gutbürger, dem es gerade noch wichtig war, dass die „Zauberflöte“ keine Oper, sondern ein Singspiel ist, den Lack eines Autos, schlitzt ein Cabriodach auf, verschandelt Hausfassaden, er macht sogar den Waffenschein. Die Situation eskaliert, und Georg fährt sein Leben aber mal so richtig gegen die Wand.

Falscher Stolz, Egozentrik, Rachsucht, Zerstörungswut, Absturz: Das ist der Stoff, aus dem Josef Haders Tragödie ist. Halt, es ist der Stoff, aus dem seine Komödie ist. Denn so egoistische, manipulative, achtlose Charaktere er da auch zeigt, so hinterhältig sie sich gegenseitig mitspielen und sich dabei entlarven, so gemein komisch ist das Geschehen auch. Und abwegig ist das alles auch nicht, schon gar nicht die bösen Szenen einer Ehe: „Super, immer wenn ich sage, was ich denke, ist schlechte Stimmung.“ Kann schon passieren, wenn das Denken in Wahrheit gar keine Vernunft gebiert.

Wenn es zwischen Georg und dem Chefredakteur zum letzten Duell kommt, fühlt man sich tatsächlich an eine pubertäre Pausenhofklopperei erinnert. Hader sagt denn auch über seinen Film: „Vieles läuft in der Welt – in Wirtschaft, Politik und Medien – falsch, weil Männer Bubenspiele veranstalten.“ Nicht, dass die Frauen bei ihm unbedingt die besseren Menschen wären.

Aber tatsächlich: Wenn man sich die Trumps, Putins, Erdogans in ihrem chauvinistisch-narzisstischen Gehabe vor Augen führt, kann man „Wilde Maus“ unbedingt als die Komödie von so lachhaften wie leider gefährlichen Männern sehen.

Dabei ist der Film wirklich zum Lachen: mit seinem schmähvollen österreichischen Tonfall, seinen makabren Ideen und mit einem Netz aus Figuren, die komplex und immer wieder überraschend miteinander verbunden sind. Die große Politik kommt dabei übrigens nur en passant in den Nachrichten vor, wenn vom Flüchtlingsdrama berichtet wird, und Georg geistesabwesend nur „schlimm, schlimm“ murmelt.

Mit „Wilde Maus“ hat der Berlinale-Wettbewerb einen ersten Lieblingsfilm – wenn auch keinen Favoriten. Denn wann hätte jemals eine Komödie den Goldenen Bären gewonnen?

„Schlimm, schlimm“

Und was macht der Humor sonst so in den Berlinale-Filmen? Abgesehen von „Trainspotting 2“ eher wenig, denn da geht es bislang um die Trauer einer argentinischen Transsexuellen und um die Jagd einer polnischen Tierschützerin auf Wilderer. Um die Gewalt, die sich zur indischen Unabhängigkeit Bahn brach, und um eine Kongolesin, die verzweifelt versucht, Geld für die Operation ihres verunglückten Sohnes aufzutreiben. Nein, auf der Welt geht es selten lustig zu.

Immerhin ist da noch der ungarische Beitrag „On Body and Soul“. Es ist eine Liebesgeschichte, die etliche herzerwärmend komische Momente hat. Allerdings: Die Geschichte spielt in einem Schlachthaus.

Zum Lachen gibt es eben nur noch, wenn es zugleich traurig zugeht.

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Erstellt:
13.02.2017, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 31sec
zuletzt aktualisiert: 13.02.2017, 06:00 Uhr

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