Tübingen

Würdelos

Der Hippokratische Eid war einmal und auch sein Genfer Nachfolger wurde schon mehrfach revidiert. Urban Wiesing arbeitete an der Neufassung mit („Die Zeit war reif für eine neue Ethik“, 25. Oktober). Hier widmet sich ein Tübinger Hirnforscher einem Teilaspekt.

03.11.2017

Von Prof. Kuno Kirschfeld, Tübingen

Bei der akademischen Abschiedsfeier legen Ärzte ein Gelöbnis ab. Sein Text wurde reformiert; ein neuer Satz: Ich werde die Autonomie und die Würde meines Patienten respektieren. In Deutschland stünden die Gesetze auch mit der neuen Formulierung in Einklang, sagt Prof. Urban Wiesing, der an der Reform beteiligt war.

Hans Küng schreibt in seinen Memoiren: „Ich will nicht als Schatten meiner selbst weiterexistieren“, und denkt darüber nach, notfalls mit Hilfe einer Schweizer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben zu scheiden. Warum in der Schweiz? Küng kritisiert, dass bei uns kein Arzt beim Wunsch, sein Leben zu beenden, helfen darf. Autonomie des Patienten im Gelöbnis beinhaltet also nicht, dass dieser selbst über sein Lebensende entscheiden kann.

Vielleicht ist es ja nicht würdelos, so in die Schweiz reisen zu müssen, eine Lösung aber leider nur für Besserverdienende. Was bleibt den Anderen? Den Tübingern wird dies in unregelmäßigen Abständen vorgeführt: Von einem Tübinger Hochhaus stürzen sich, seit es besteht, immer wieder Menschen in den Tod. Im TAGBLATT wird über jeden Unfall, selbst mit kleinen Verletzungen, berichtet. Noch habe ich keinen Bericht darüber gefunden, wie der Hausmeister mit den Resten der Suizide umgeht, wann die Feuerwehr zum Abräumen gerufen wird, wie die Bewohner – auch Kinder – diese dramatischen Ereignisse erleben. Wäre die Zeit nicht auch reif dafür, sich dieses Themas einmal anzunehmen?