Mit Engelszungen

Worthülsenfrüchte mit Flusskrebs

28.10.2016

Von Matthias Reichert

Journalismus scheint von gestern – PR heißt heute das Zauberwort, Public Relations. Wer mit den Marketingabteilungen großer Unternehmen, auch in Reutlingen, zu tun hat, der oder die gibt das Sprachgefühl am besten schon bei der Zentrale ab. Da wird getrickst und geschönt – je verschwurbelter, desto besser, je inhaltsleerer, desto willkommener. Merke: Es kommt immer auf die Verpackung an.

Entsprechend lesen sich manche Verlautbarungen, wie sie alle paar Tage in die Redaktionen flattern. Da werden Prozesse optimiert, Strukturen evaluiert und Systeme implementiert, dass es eine Lust ist. „Gewinnwarnung“ bei Aktiengesellschaften bedeutet eigentlich: „Vorsicht, Verlust!“ Vorstandsvorsitzende sind längst General Chief Managers, und unter einem CPO, wahlweise Chief Planning Officer, Chief Process Officer oder Chief Procurement Officer, macht es kein Abteilungsleiter mehr. Dabei heißt CPO eigentlich „Cambarellus patzcuarensis orange“ und ist ein bunter Flusskrebs aus Mexiko, aber das ahnen diese Führungskräfte nicht.

Schon junge Leute wissen, worauf es im Geschäftsleben ankommt. Neulich habe ich im Zug zwei Reutlinger Berufsschülerinnen zugehört, die über einen Lehrer abgelästert haben. Der hatte offenbar aus seiner schlechten Laune kein Hehl gemacht – und die Schülerinnen mokierten sich prompt, das sei ja völlig unprofessionell. Merke: Keep on smiling – Hauptsache, die schöne Fassade stimmt.

Auch im Sozialbereich feiert die PR-Branche fröhliche Urstände. Deren Hochglanzmaschinen kleistern noch zu jeder neuen Beratungsstelle für Sozialfälle einen funkelnden Prospekt, der so optisch schön wie nichtssagend ist. Wie in der Werbung: Wortreich wird verschleiert, worum es eigentlich geht. Gastronomen, die ihr Mittagessen anpreisen, schmeißen mit Adjektiven nur so um sich, die das Gericht zum Erlebnis machen sollen. Worthülsenfrüchte statt Braten: knusprig, erlesen, ausgewählt. Bis der Bissen zum Hals herauskommt.

Wer wie ich von Markenartikeln lebt, mag sich nicht kirre machen lassen von solcher Verschleierungsprosa, die es auf Terminen bis zum Abwinken gibt. Da bleibt nur eins: weglassen – alle Adjektive, die bloß der Verpackung dienen. Und jede Worthülse wird genüsslich geknackt und auf den Kern ausgebeint. Bis aus einem CPO wieder ein Manager wird. Und Flusskrebs gibt’s zum Mittagessen.

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Erstellt:
28.10.2016, 15:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 04sec
zuletzt aktualisiert: 28.10.2016, 15:00 Uhr

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