Cineslam

Wo hast du denn das Universum her?

Man kann dichten, rappen oder sich im Video-Wettstreit messen. Die Französischen Filmtage zeigten Montagnacht im Arsenal die Konkurrenzlust der hiesigen Kurzfilmszene.

09.11.2016

Von Ulla Steuernagel

Hinter der Kamera steht Cineslam-Gewinner: Nicolas Sidiropulos, davor: Magnus Schmidt.Bild: Metz

Hinter der Kamera steht Cineslam-Gewinner: Nicolas Sidiropulos, davor: Magnus Schmidt.Bild: Metz

Drei Jahre ruhte das Unternehmen Cineslam, am Montagnacht stieg es quicklebendig aus der Kiste. Wiederbelebt worden war es von den Filmtagen und „FabLab Neckar-Alb“, einem Tübinger High-Tech-Labor, das sich als Fortsetzung des Werkstadthauses mit anderen Mitteln versteht.

Beim Cineslam, einem Battle für hiesige Film-Talente, war das Arsenal-Kino in der Montagnacht rappelvoll. Das Durchschnittsalter lag weiter unter der üblichen Altersgruppe, die im Kino höchstens noch am Kräutertee nippt.

Alle Filme, gezeigt wurden zehn an der Zahl, seien sehr gut, so sagte Moderator Justin Humm und orakelte gleich: „Das wird nicht die Aussage sein, mit der
wir aus dem Abend rauskommen.“ Schließlich werde der beste Film gesucht, der von der Kreissparkasse Tübingen mit 500 Euro belohnt werde.

Die Regisseurinnen und Regisseure der No- oder Low-Bugdet-Produktionen von höchstens zehn Minuten wurden nach den Vorführungen vom Publikum unerbittlich gelöchert. Der ganze Saal eine einzige Expertenrunde: „Was hat deine Oma gesagt, als sie sich zum ersten Mal im Film sah?“ „O Gott, wie sehen meine Haare aus!“ – „Hast du mit dem Paint-Programm gearbeitet?“ „Ja, ich wollte eine möglichst rohe Ästhetik.“ – „Wie habt ihr das Blut hergestellt?“ „Wir haben immer noch zwei Flaschen übrig!“ – „Bist du wirklich so schnell am Freibad vorbeigefahren?“ „Ja!“ – „Wie hat der Hauptdarsteller es geschafft zu weinen?“ „Wir haben keine Zwiebeln genommen.“ – „Habt ihr Blender benutzt?“ „Ja, für den Abspann.“ – Und: „Was für Drogen außer Bier habt ihr genommen?“

Jeder Zuschauer konnte per Stimmkarte einen Film ankreuzen. Ob es an der vorgerückten Stunde lag oder an der Überzeugungskraft des Werkes: Der letzte in der Reihe gewann schließlich den KSK-Scheck. Moderator Humm erklärte zuvor sehr einleuchtend die Regularien: „Es gibt drei Plätze. Einen ersten, einen zweiten und einen dritten.

Der Filmabend wurde zum wildes Potpourri verschiedener Genres und unterschiedlichster Themen, hochgestochener Blödsinn, tiefstapelnder Tiefsinn. Es begann mit einer auf den Rucksack montierte GoPro-Kamera. Eine rasante Jagd durch Straßen und Gewässer Tübingens. Titel: „Kein Weg kein Ziel“, Regie: Christoph Schmitz. Auch Schwarzweiß, in statischen Großaufnahmen und ohne jede moralische Aufladung lieferte Regisseur Alexandr Judin die Geschichte eines Kindsmords „On the Pea“ mit komischem Ende. Sein Werk lief außer Konkurrenz, weil der Regisseur eine Anforderung nicht erfüllte: Er war nämlich nicht anwesend.

Viel beklatscht wurde die liebevolle Doku „Orchideentauchtag“. Theresa Offenbeck, studierte Medienwissenschaftlerin, hatte ihre Oma eine Woche lang mit der Kamera begleitet und das Material in eine Kurzfassung geschnitten. Man lernt hier eine Frau von 94 Jahren kennen, die ihr Leben tapfer und mit Humor lebt. Sie schafft sich tägliche Gründe zum Aufstehen, wie etwa die Aufgabe, ihre beiden Orchideentöpfe ins Wasser zu tauchen. Die Oma habe der Kamerabegleitung vor allem deshalb zugestimmt, weil sie so eine Woche mit ihr, der Enkelin, hatte, berichtete die Regisseurin. Als die alte Frau den Film dann sah, „fand sie‘s eigentlich auch ganz geil“.

Die bilinguale 9 d des Kepler-Gymnasiums in Tübingen hatte ein entschlossenes Statement gegen Rassismus eingereicht. Sogar in französischer Fassung mit deutschen Untertiteln („Aisha“). Silvester Keller war für eine Miniproduktion von 99 Sekunden 99 Stunden aktiv gewesen und hatte sich in das beschwerliche Leben eines Schutzengel hineinversetzt. Die Zeit war eine der beiden Vorgaben, die er als Student der Medienwissenschaften zu erfüllen hatte. Die andere: „Es sollte ein elektrischer Schalter vorkommen.“

Mitten im Wettbewerb gab es noch einen Unterwettbewerb. Eine Minute lang konnten Filmproduzenten im Saal für ihr Werk werben. Das Publikum entschied sich per Akklamation und mit Humms subjektiver Unterstützung für die neunminütige Hochschul-Abschlussarbeit des Schotten Rob Žywietz. Er hatte sein professionelles und ästhetisch überzeugendes Werk „Port Nasty“ vorgestellt als: „Eine epische Geschichte um einen jungen Fischer, der gerne Fischer werden will. Der Film spielt in der Arktis, hat nur die Farben Blau, Schwarz und Weiß und ist ein Trickfilm.“

Skurril auch ein im Super-8-Format gedrehter Science-Fiction-Streifen namens „Veterok“ (russisch: Windspiel). Der Überlebende einer Katastrophe stakst durch eine gespenstische Industrielandschaft und sucht nach anderen Lebewesen. Das Regieteam, so erklärte Gunnar Grah, neigte dazu, sich in immer großartigere und kompliziertere Ideen zu versteigen. Also habe man sich diesmal in einer Kneipe verabredet, in die jeder eine Requisite mitbringen musste. Und der Ruckeleffekt im grobkörnigen Schwarz-Weiß-Film sei entstanden, weil die Spule für die Kamera gefehlt habe.

Mitternacht war schon vorbei, als die surrealistische Vision einer „negativen Nahtod-Erfahrung“ von Katharina Schluche und Vizenz Schulz („Feral Light“) ablief. Sie hatten sie in einer Nacht auf dem Möckschen Schrottplatz gedreht. Einige verhackstückte Elemente aus einem Krimi von Horst Bieber wurden in „Lipitsch Lullaby“ ziemlich entspannend mit Wiegenlied unterlegt. Regisseur Simon Fleck outete sich als leidenschaftlicher Autodidakt. Was er sonst so mache? „Ich verkauf Schrauben im Baumarkt!“ Der Film nahm am Ende einen ehrenvollen, aber undotierten dritten Platz ein.

Platz zwei ging an die Großmutter-Doku „Orchideentauchtag“. Aufs Siegerpodest schaffte es der Abiturient Nicolas Sidiropulos mit seinem Team. Er hatte die Frage nach dem „Sinn des Lebens“ in knapp fünf Minuten beantwortet. Beginnend mit der bewusst laienhaft inszenierten Sinnkrise eines Jungen zündet der Film dann einige Sprengsätze, die ihn ins Komische überführen. So fällt eine der Darstellerinnen mitten im Film aus der Rolle und wendet sich an den Regisseur: „Sidi, willst du wirklich, dass ich diesen Scheiß sage?“ Wie die Sonne der ganzen Sinnsucherei dann ein Ende bereitet, war der große Lacher im Publikum. „Wo hast du das Universum hergekriegt?“ wurde Sidiropulos anschließend gefragt. „Ich hab ein Raumschiff“, sagte der.

Worin besteht er bloß „Der Sinn des Lebens“? Bild: Screenshot

Worin besteht er bloß „Der Sinn des Lebens“? Bild: Screenshot

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Erstellt:
09.11.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 52sec
zuletzt aktualisiert: 09.11.2016, 01:00 Uhr

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