Informationslücken schließen

Willi Rudolf setzt als Behindertenbeauftragter auf den Fortschritt digitaler Medien

Wenn es um Barrierefreiheit geht, dann geht es für Willi Rudolf auch immer um den Abbau von Informationsbarrieren. Eine große Hilfe für Menschen mit Gehbehinderung bietet eine App.

16.09.2016

Von Moritz Siebert

Gerne auch mal Home-Office: Willi Rudolf in seinem Garten in Öschingen.Bild: Siebert

Gerne auch mal Home-Office: Willi Rudolf in seinem Garten in Öschingen.Bild: Siebert

Öschingen. In Stuttgart stand Willi Rudolf neulich vor einem öffentlichen Gebäude, offiziell barrierefrei. Trotzdem versperrte ihm eine unüberwindbare Stufe den Zugang. Er bat einen Passanten darum, doch bitte im Haus nachzufragen, was es denn mit der Barrierefreiheit auf sich habe. Der kam dann mit der Information zurück, es gebe einen Hintereingang – ohne Stufe. „Informationen sind eben wichtig“, sagt Rudolf und nennt noch ein Beispiel. Beim Mössinger Stadtfest am vergangenen Wochenende gab es für die Gäste auch eine barrierefreie Toilette, ausgeschildert sei diese aber nicht gewesen. Als Öschinger wusste Rudolf natürlich, wo sie sich befindet. Aber was ist mit den anderen Besuchern? Barrieren abbauen: Das heißt für Rudolf auch Informationsbarrieren abbauen.

Bei seiner Tätigkeit als Behindertenbeauftragter des Landkreises ist es eine seiner Aufgaben, Informationslücken zu schließen. Er versteht sich selbst als Bindeglied zwischen allen Beteiligten. Er hat Kontakt in die Verwaltung und zu den Verbänden, er kennt die Mechanismen der Behörden und die Anliegen von Menschen mit Behinderung. Er sei nicht derjenige, der die Probleme löst, erklärt Rudolf, sondern derjenige, der die Zuständigen findet. „Wenn ich mit dem Rollstuhl dagegen fahre, dann geht die ein oder andere Tür etwas leichter auf.“

Seit einem Jahr ist Rudolf auf dem Landratsamt hauptamtlich in der Funktion als Behindertenbeauftragter zuständig. Drei bis vier Mal die Woche ist er vor Ort, vor allem bei Besprechungen ist seine Anwesenheit wichtig, oft ist er aber auch außendienstlich unterwegs. Und wenn es geht, arbeitet Rudolf auch mal von Zuhause in Öschingen aus: im Wintergarten, im Büro oder im Garten.

Als Rollstuhlfahrer sei man immer auf zuverlässige Informationen angewiesen, sobald man sich in einem anderen Ort aufhalte, erklärt er. „Urlaub machen ist umständlich.“ Am liebsten fahre er dorthin, wo er die Gegend schon kenne. Aber auch dann sei er als Gehbehinderter nicht vor unvorhersehbaren Situationen gefeit.

Broschüren zu Barrierefreiheit gebe es in jeder Stadt, keine Frage. Das Problem sei aber, dass solche oft schon nach einem Jahr veraltet sind. Und aktualisieren können sie sich nicht selbst – im Gegensatz zu digitalen Varianten. Rudolf setzt sich deswegen für die Verbreitung von Online-Angeboten wie der App „Wheelmap“ ein. Es handelt sich um ein Programm für PC und mobile Geräte, das auf einer Landkarte zeigt, welche öffentlichen Gebäude im Umfeld barrierefrei zugänglich sind.

Rudolf öffnet die App auf seinem Tablet-PC und gibt seinen Standort in Öschingen in ein Suchfeld ein: Auf einer Landkarte ploppen rote, gelbe und grüne Buttons auf, die Arztpraxen, Bäckereien oder Banken in seiner unmittelbaren Nachbarschaft zugeordnet sind. Grün bedeutet, dass das zugeordnete Gebäude für ihn zugänglich ist. Die Kreissparkasse auf der gegenüberliegenden Straßenseite etwa. Praxis-Check: Es funktioniert. Der Weg über die Straße bis zur Bank und ins Gebäude rein ist tatsächlich barrierefrei. Nur der Bordstein am Fußgängerüberweg ist etwas hoch. Rudolf kann ihn aber umfahren.

„Wheelmap“ ist auf die Mithilfe anderer angewiesen, ähnlich wie das Online-Lexikon „Wikipedia“. Wer sich anmeldet, kann die App mit Informationen füttern, öffentliche Gebäude markieren und angeben, ob der Zugang barrierefrei ist. Auch Rudolf selbst unterstützt das Programm tatkräftig: Öschingen und Mössingen sind schon ziemlich gut bestückt: Viele grüne Buttons leuchten auf der Landkarte, allerdings auch einige rote. Und genau da sieht Rudolf noch einen weiteren Vorteil der App: „Barrierefreiheit ist ein Wettbewerbsvorteil.“

Willi Rudolf: Ämter und Tätigkeit

Seit einem Jahr ist Willi Rudolf hauptamtlicher Behindertenbeauftragter des Landkreises. Seit 2008 war er ehrenamtlich in dieser Funktion tätig. Wegen des Wechsels ins Hauptamt musste er aus dem Kreistag ausscheiden. Mitglied war er seit 2004. Rudolf ist außerdem Vorsitzender des Landesverbands Selbsthilfe Körperbehinderter. Viele Jahre engagierte er sich kommunalpolitisch in Ortschafts- und Gemeinderat. In den 1980er- und 1990er Jahren war Rudolf als Unternehmer für Reha-Systeme tätig. 2005 hat er das Bundesverdienstkreuz erhalten, 2011 den Verdienstorden des Landes. Geboren wurde Rudolf mit Diastropher Dysplasie, die ihn an den Rollstuhl bindet. Als Behindertenbeauftragter berät Rudolf unter anderem den Landkreis und arbeitet mit Gemeinden und Verbänden zusammen.

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Erstellt:
16.09.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 05sec
zuletzt aktualisiert: 16.09.2016, 01:00 Uhr

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