Über Scherzartikel

Wie steht es mit dem Markt der Albernheiten?

Einmal im Jahr sollte man sich über den neuesten Stand auf dem Markt der Scherzartikel informieren, finde ich. Er sagt doch etwas über den Zustand der Gesellschaft.

27.02.2017

Von Ulla Steuernagel

Dieser Text wurde mit einem Finger geschrieben.Bild: ust

Dieser Text wurde mit einem Finger geschrieben.Bild: ust

Gibt es beispielsweise schon orangefarbene Toupets im Scherzhandel? Ich jedenfalls schaue mich regelmäßig im Tübinger Fachhandel um. Der wichtigste Anbieter sitzt in der Froschgasse. Im dortigen Laden gibt es eine Nische mit Artikeln dieser Kategorie. Die meisten liegen preislich unter fünf Euro. Als Erwachsener kann man sich hier schnell einen Überblick verschaffen, denn die anderen Interessenten sind meist zwei Köpfe kleiner als man selber.

Die Karnevalszeit ist eine gute Zeit für derartige Erkundungen. Ich schreibe hier bewusst „Karneval“, auch wenn das Wort im Schwäbischen wilde Verwünschungen auslöst. Aber zu so einer seriösen und historisch bedeutsamen Institution wie der Fasnet passen einfach keine Furzkissen, keine Stinkbomben und andere albernen Dinge.

Hingegen ist im rheinischen Karneval Albernheit nicht nur erwünscht, sondern geradezu Pflicht. Gegen serielle Witzproduktion hat hier wirklich niemand etwas einzuwenden.

Beim Betrachten der Scherzartikel packt mich neben der Begeisterung darüber, dass sich gestandene Männer – und vielleicht Frauen – solche Dinge ausdenken, immer ein wenig Melancholie. Ich stelle mir die chinesischen Fabriken vor, in denen Arbeiter 16 Stunden am Tag merkwürdige Gebisse produzieren und in Blisterpacks einschweißen. Wie sehr werden sie diese Gebisse hassen? Und all die Diplom-Ingenieure der Zulieferindustrie, die die Gussmaschinen zur Herstellung von Gebissen entwickeln, wie reagieren sie auf die Frage: „Was machen Sie denn beruflich so?“ „Ich bau Maschinen für die Produktion von fiesen Zähnen.“

Ob wohl ein einziger Betrieb den Weltbedarf an Scherzgebissen deckt? Und was passiert mit den Gebisspreisen, wenn der amerikanische Markt Einfuhrzölle erhebt?

Komisch, das die Spezialitätenecke in der Froschgasse nach dem Erfolg des Filmes „Toni Erdmann“ nicht von begeisterten Kunden gestürmt wird. Der Film „Carmen“ nahm beispielsweise großen Einfluss auf die Farbe Rot. Alle Frauen kauften sich danach rote Kleidung und trugen schwingende Röcke. Wieso sieht man nicht mehr Menschen – insbesondere ältere Herren – mit Scherzzähnen Marke „Hillbilly“ herumlaufen? Nun, ein wenig mühsam ist es schon, damit seinem Alltag oder einem Beruf nachzugehen. Mit so einem komischen Gebiss im Mund produziert man wahnsinnig viel Spucke und die Aussprache leidet sehr. Rote Kleidung lässt sich besser ins Berufsleben integrieren. Nur mit eiserner Willenskraft kriegt man das mit einem solchen Gebiss hin.

So geht es mir immer, wenn ich vor den Scherzartikeln stehe, ich komme ins Grübeln. Der Unsinnfrage nachzugehen, ist mindestens so anstrengend wie ihrer großen Schwester, der Sinnfrage.

Im Grunde aber wollte ich nur schauen, was es Neues gibt im Kuriositätenkabinett. Nun, Hundehaufen aus Plastik, kenn ich noch aus der Kindheit. Pfefferbonbons auch. Falsche Zigaretten mit Puderqualm, Wunden aus Plastik, allerlei falsches Getier, Kaugummiverpackungen mit eingebauter Fingerfalle, Quabbelmasse, selbst Zungentattoos auf Oblaten sind mir ebenfalls bekannt. In diesen bewegten Zeiten scheint der Scherzartikelmarkt ein Musterbeispiel an Beständigkeit zu sein. Er steht in Treue zum Klassiker. Sollte diese Branche je in eine existenzielle Krise stürzen, dann liegt es entweder daran, dass die orangenen Toupets den normalen Alltag dominieren oder dass niemand sich mehr etwas vormachen lassen will, noch nicht mal von einem lustigen Gebiss.

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Erstellt:
27.02.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 35sec
zuletzt aktualisiert: 27.02.2017, 01:00 Uhr

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