Western

Western

Western-artiges Drama am Schauplatz einer international besetzten Baustelle in einem abgelegenen Teil Bulgariens.

26.06.2017

Von Peter Ertle

Western

Man muss es vorweg sagen: Ein Western ist dieser Film nicht. Er spielt mit dem Genre, nimmt einige Topoi auf. Statt weiße Siedler, die im Indianerland eine Eisenbahn bauen, werden deutsche Ingenieure zum Bau eines Wasserkraftwerks nach Bulgarien geschickt. Eine tumb-melancholische, leicht reizbare, raue, verunsicherte Männerwelt, in Deutschland wohl selbst auf dem Verliererposten, hier treten sie gleich recht forsch auf, es gibt Konflikte mit den Einheimischen, aber auch innerhalb der Deutschen.

Aber vielleicht sollte man bei der Beschreibung dieses Films anders beginnen: Wie schön, dass dieser Arthouse-Film - vermutlich dank guter Resonanz in Cannes - ins große Kino gefunden hat. Obwohl er in seiner spröden, alles Plakative zurückweisenden, literarischen, fast dokumentarischen Art für manche eine Zumutung bleiben wird. „Western“ ist das Ehrlichste und Aufregendste, was derzeit im Kino läuft.

Der Anstrich des Dokumentarischen rührt vom stupenden Realismus dieses Films, der Besetzung mit grandiosen Laienschauspielern. Die Zumutung besteht auch darin, dass neben bisschen Ossideutsch viel Bulgarisch gesprochen wird, karg untertitelt. So wie sich Deutsche und Bulgaren sprachlich oft nicht verstehen, hat auch der Zuschauer stellenweise das Gefühl, dass er außen vor bleibt. Aber um diese Fremdheit geht es auch.

Die Deutschen hissen unten mal gleich ihre Flagge, Capo Vincent macht eine badende hübsche Bulgarin an, das kommt im Dorf nicht gut rüber - der erste Konflikt. Dass er später, ohne es abzusprechen, dem Dorf Wasser für das Bauvorhaben abzweigt, kann man wie so vieles hier allgemeiner verstehen: Nämlich zu welchem Umgang das Versprechen des Fortschritts nicht berechtigt und wie chauvinistisch er sich oft gebärdet. Westeuropa und Osteuropa prallen aufeinander. Aber auch zwei Sorten von Verlierern.

Was vor allem aufeinander prallt, ist ein unterschiedlicher Umgang mit den Einheimischen. Meinhard, die Hauptfigur, sanft und gefährlich, hört ihnen zu - und stößt auf offene Herzen. Der Capo hingegen, hilflos selbst unter Druck, sich abgrenzend, handelt in kolonialistischer Manier. Valeska Grisebach erzählt das in der Tradition der Berliner Schule (Maren Ade gehört zu den Produzenten dieses Films), mit Akzent auf Körper, Blicke, Landschaften - mit viel Gespür für Uneindeutigkeiten und Ambivalenzen.

Was hier erzählt wird, ist nichts weniger als unser Umgang mit Menschen, Kulturen, vor allem solchen, die der Kapitalismus noch nicht oder längst erreicht hat - indem er sie von seinem Wohlstandsversprechen abgekoppelt hat. Und manchmal, wenn Meinhard allein auf seinem Pferd ins nächste Dorf reitet, das leer, staubig und potentiell feindlich daliegt - dann, ja dann könnte es auch ein Clint Eastwood sein.

Deutsche Bauarbeiter treffen in Bulgarien auf eine dörfliche Kultur - so zartbesaiteter wie westernrauer Realismus.

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Erstellt:
26.06.2017, 08:32 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 21sec
zuletzt aktualisiert: 26.06.2017, 08:32 Uhr

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Elli Emann 02.09.201711:37 Uhr

Eine tolle Tranformation des Genres "Western" in die heutige Zeit und den Osten(!) durch eine Regisseurin der "Berliner Schule". Es gibt zwar den Lonesome Cowboy , auch ein Pferd, das allerdings verendet, das war's aber schon mit den unmittelbaren Bezügen zum klassischen Western. Ein sehr sehenswerter Film: thematisiert wird das Zusammentreffen von Kulturen jenseits idealisierter Begegnungen in Urlaubsstimmung, wie sie nicht selten im Kino zu sehen sind.

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