Über die fahrzeugfreie Fußgängerzone

Wer eine Lobby hat, bekommt Extra-Regeln

Wer am lautesten schreit, findet das meiste Gehör. Das ist nicht nur im Kindergarten, auf Demos und Fußballplätzen so, sondern auch in der Kommunalpolitik. Dafür lieferte der Planungsausschuss am Montag ein schönes Beispiel.

28.06.2017

Von Sabine Lohr

Es ging um die neuen Regeln für den Fahrverkehr in der Fußgängerzone. Der soll möglichst draußen bleiben. Das hatte der Gemeinderat im Oktober 2015 beschlossen – und damit der Verwaltung den Auftrag gegeben, dafür zu sorgen, dass die Fußgängerzone wieder eine Zone für Fußgänger wird.

Jetzt hat die Verwaltung einen Vorschlag gemacht. Bevor der auf dem Tisch lag, haben die Handwerker mächtig getrommelt. Ihnen würde es genügen, wenn die Lieferdienste nicht mehr in die Fußgängerzone fahren dürften, sie selber aber schon. Und zwar jederzeit, wie bisher.

Jedes fünfte Fahrzeug in der Fußgängerzone ist ein Handwerkerfahrzeug. Und die Handwerker haben eine starke Lobby im Planungsausschuss des Gemeinderats. Als da wären: Ernst Gumrich und Gebhart Höritzer von der Tübinger Liste – der eine Altbausanierer, der andere Dachdeckermeister. Hans-Martin Dittus und Rudi Hurlebaus von der CDU – Schreinermeister der eine, Bäckermeister der andere. Sie alle verlangen zwar eine Verkehrsberuhigung in der Fußgängerzone, aber auch, dass die Handwerker keine Einschränkungen hinnehmen müssen.

Also hat die Verwaltung mit der Vertretung der Handwerker verhandelt. Nicht mit den Stadträten, aber mit der Kreishandwerkerschaft. Die war zwar auch nicht begeistert, hat aber konstruktive Vorschläge gemacht und war am Ende kompromissbereit. „Das ist eigentlich in trockenen Tüchern“, freute sich Richard Heß von der Stadtverwaltung. Dennoch ließen die vier Handwerker im Ausschuss nicht locker. Dies wurde kritisiert und jenes, hier eine Ausnahme verlangt, dort eine. Die Verwaltung blieb hart. Und das ist richtig so. Der ausgehandelte Kompromiss sollte auf jeden Fall ausprobiert werden, bevor nachgesteuert wird.

Auch die Pflegedienste fanden Gehör im Ausschuss. Die Diakonie protestierte und wollte ebenfalls Ausnahmeregelungen für sich. Pflegedienste haben ebenfalls eine Lobby im Ausschuss. Martin Sökler (SPD) ist Arzt, Gerlinde Strasdeit (Linke) langjährige Personalrätin am Klinikum, ihr Fraktionskollege Gotthilf Lorch Sozialarbeiter. Sie setzten durch, dass mit den Pflegediensten gesprochen werden soll, bevor sie in die neuen Regeln einbezogen werden. Mit ihnen nämlich hat die Verwaltung nicht verhandelt wie mit den Handwerkern.

Keine Lobby haben die Lieferdienste. Mit denen waren Verwaltung und Fraktionen schnell fertig: In Konstanz habe sich gezeigt, dass Lieferdienste Lösungen finden, sagte Heß.

In Konstanz wurden Lösungen gefunden, das ist richtig. Aber sie wurden zusammen mit den Lieferdiensten gefunden. Mit denen sei durchaus zu reden, sagte die Konstanzer Wirtschaftsförderin Christina Groll. Die Tübinger Verwaltung hat das gar nicht erst versucht, nicht ein einziges Ausschussmitglied hat das gefordert. Und was ist eigentlich mit den Händlern, die beliefert werden müssen, was mit den Bewohnern der Altstadt?

Nicht, dass alle ihre gewünschten Ausnahmen bekommen sollen – sonst kriegt man den Verkehr nie aus der Altstadt raus. Aber reden sollte man mit den Betroffenen schon. Und zwar mit allen. Nicht nur mit denen, die am lautesten schreien.

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Erstellt:
28.06.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 26sec
zuletzt aktualisiert: 28.06.2017, 01:00 Uhr

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