Immer der Nase nach

Wenn die Wetterlage den Duft bestimmt

Der Schwall ist mit unvermittelter Wucht aus dem Fensterspalt ins Freie gedrungen und hat sich in die tiefsten Untiefen der Erinnerung verbreitete: Ein dicker, dunkler Geruch aus einem verqualmten Sportwetten-Büro, der lange vergessene Nächte in verrauchten Kneipen oder Zigaretten-intensive Diskussionsrunden in der Studentenbude wieder aufleben ließ.

10.10.2017

Von Thomas de Marco

2010 zog die Deutsche Post mit Marken nach, die beim Rubbeln nach Rosen oder Obst duften. Privatbild

2010 zog die Deutsche Post mit Marken nach, die beim Rubbeln nach Rosen oder Obst duften. Privatbild

Die nikotingeschwängerte, sauerstoffarme Luft aktivierte nicht nur das Langzeitgedächtnis, es machte auch klar: Der Geruchssinn darf keinesfalls unterschätzt werden.

Vor ungefähr 15 Jahren etwa brachte die Schweiz erstmals eine Briefmarke heraus, die nicht nur wie ein Schokoladenstück aussah, sondern auch nach Schoko roch, wenn daran gerieben wurde. 2010 zog die Deutsche Post mit Marken nach, die beim Rubbeln nach Rosen oder Obst duften (Bild). Der gezielte Einsatz von olfaktorischer Wirkung durch Parfüms, Deos, WC-Sprays, Seifen, Räucherstäbchen, Duftlampen und Lavendelsäckchen scheint mittlerweile nahezu grenzenlos zu sein.

Auch die Industrie hat die manipulativen Möglichkeiten von Düften entdeckt: Längst wird Geruch eingesetzt, um den Verkauf anzukurbeln. Es gibt Bäckereien oder Supermärkte, die mit künstlichem Backduft Ware simulieren, die angeblich frisch aus dem Ofen kommt. Hotels versprühen mit der Frischluft gleichzeitig Duftmoleküle für den angenehmen Aufenthalt. Und manches gebrauchte Auto soll gerüchteweise mit Neuwagenspray geruchlich aufgemotzt werden. Es gibt sogar Duftmaschinen, die laut Werbetext Gefühle und Emotionen wecken. „Angenehme, dezente, natürliche Düfte verstärken unsere Wahrnehmung und unsere Empfindungen. Bei Ausstellungen und im Verkaufsbereich wirkt dies auf die Aufnahme von Informationen und Entscheidungen“, heißt es da weiter.

Wer in Reutlingen im Hohbuch wohnt, erfährt mitunter eine ganz besondere Beduftung. Bei entsprechender Wetterlage wabern Geruchsstoffe vom Komposthof Pfullingen herüber, die den Start in den Tag allerdings mit leichtem Fäulnisgeruch eher erschweren. Bei günstigen Winden meint man dagegen, es regne Manna vom Himmel: Dann schweben die Düfte von frischen Brötchen und süßen Stückchen von einer Großbäckerei im Industriegebiet West herüber, öffnen einem die Sinne für ein entspanntes Tagwerk – und machen gleich mal Appetit auf das Mittagessen.

Egal, ob lieblich oder stechend, aromatisch oder beißend, würzig oder ranzig – Gerüche sind ehrlich. Damit unterscheiden sie sich gewaltig von anderen leicht flüchtigen Stoffen, die voller Heimtücke durch Reutlingen dünsten: Stickstoffdioxide in hoher Konzentration, die in der Lederstraße gemessen werden und der Stadt höchst zweifelhafte Spitzenwerte einbringen. Die sind nicht nur unsichtbar, sondern geruchlos.

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Erstellt:
10.10.2017, 18:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 02sec
zuletzt aktualisiert: 10.10.2017, 18:00 Uhr

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