Nicht noch einen CDU-Mann

Warum ein SPD-Mann in Rottenburg neuer Finanzbürgermeister werden konnte

Es war eine Persönlichkeitswahl am Dienstagabend. Das sagten alle Stadträte, die das TAGBLATT gestern um eine Bewertung bat. Aber auch die Parteizugehörigkeit der beiden Bewerber spielte eine Rolle. Allerdings anders, als man auf den ersten Blick meinen könnte.

28.07.2016

Von Michael Hahn

Auf dem Weg nach vorne durchquerte der frisch gewählte Finanzbürgermeister Hendrik Bednarz (SPD) die Sitzreihen der CDU-Fraktion. Im Hintergrund, vor der Wendeltreppe, ist der unterlegene Kandidat Horst Schuh zu sehen. Hinten links macht sich Eva Bednarz auf dem Weg zu ihrem Mann.Bild: Franke

Auf dem Weg nach vorne durchquerte der frisch gewählte Finanzbürgermeister Hendrik Bednarz (SPD) die Sitzreihen der CDU-Fraktion. Im Hintergrund, vor der Wendeltreppe, ist der unterlegene Kandidat Horst Schuh zu sehen. Hinten links macht sich Eva Bednarz auf dem Weg zu ihrem Mann.Bild: Franke

Rottenburg. Dass ein SPD-Mann in Rottenburg in eine Führungsposition gewählt wird, ist sicher eine kleine Sensation. Die CDU verfügte hier jahrzehntelang über die absolute Mehrheit, und sie stellt auch heute noch die mit Abstand größte Fraktion. Und den Oberbürgermeister sowieso.

Die SPD verfügt im Rottenburger Gemeinderat nur über fünf Sitze (von insgesamt 32). Insofern lässt sich mit einiger Sicherheit sagen: Das aktive SPD-Mitglied Hendrik Bednarz wurde nicht wegen, sondern trotz seiner Parteimitgliedschaft gewählt.

Umso mehr feierten die Sozialdemokraten am Dienstagabend das Ergebnis. Aus Tübingen kamen sogar noch der SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Rosemann und die Kreisvorsitzende Dorothea Kliche-Behnke nach Rottenburg, um mitzufeiern.

Bednarz selbst bekräftigte gestern am Telefon nochmals: „Ich werde mein Amt nicht parteipolitisch ausüben, sondern pragmatisch. Ich bin nicht Bürgermeister für die SPD, sondern Bürgermeister für Rottenburg.“ Und: „Selbstverständlich werde ich auch die CDU in die Arbeit einbinden, wie alle anderen (Fraktionen) auch.“ Ob Bednarz in drei Jahren auf der SPD-Liste für den Tübinger Kreistag kandidieren wird, „darüber habe ich mir noch überhaupt keine Gedanken gemacht“, sagte er auf Nachfrage.

Dem unterlegenen Bewerber Horst Schuh dagegen dürfte seine Parteimitgliedschaft eher geschadet haben. Elf CDU-Mitglieder (inklusive OB Stephan Neher) waren am Dienstag stimmberechtigt – eigentlich eine starke Hausmacht. Schuh hätte nur noch sechs andere Stimmen gebraucht. Doch aus mehreren anderen Fraktionen hörte das TAGBLATT gestern: „Wir wollten nicht noch einen weiteren CDU-Mann an der Spitze“ – nach Regierungspräsident, Landrat und Oberbürgermeister. Die Folge: Die anderen Gruppierungen stimmten fast komplett für Bednarz.

Auch der CDU-Stadtrat Hans Beser (Ergenzingen) hatte vor der Wahl mehrmals gehört: „Nicht schon wieder CDU.“ Deswegen sei ihm klar gewesen, sagte er gestern am Telefon, „dass es für Herrn Schuh sehr sehr schwierig wird“. Selbst „sonst eher CDU-nahe Gruppen“ wie die Freien Bürger oder die Jungen Aktiven „sind diesmal nicht mit uns mitgegangen“.

Besers Parteifreund Reinhold Baur hatte dagegen mit einem (knappen) Erfolg für Schuh gerechnet. „Für ihn ist es eine echte Niederlage.“ Baur hofft, dass Schuh trotz der Enttäuschung als Fraktionsvorsitzender weitermacht.

Aber das Ergebnis sei „auch kein Weltuntergang“, findet Baur. Bednarz sei „kein schlechter Mann“ und der Wettbewerb zwischen den beiden sei „fair gelaufen“. Selbstverständlich werde die CDU mit dem neuen Finanzbürgermeister „gut zusammenarbeiten“.

Die SPD-Fraktionsvorsitzende Margarete Nohr wiederum hatte „damit gerechnet, dass es reicht“ für Bednarz. Dass die Mehrheit dann so klar war, davon war auch Nohr überrascht. Bednarz habe viele mit seiner persönlichen „Ausstrahlungskraft“ überzeugt, vermutet Nohr. „Aber auch das Alter hat bei vielen eine Rolle gespielt. Das ist zwar ungerecht, aber Herr Schuh hätte nur für eine Periode antreten können.“ (Bednarz ist 37, Schuh ist 58). „Wenn die CDU einen jüngeren Kandidaten gebracht hätte, wäre es vielleicht anders ausgegangen.“

Zudem sei ein „Seitenwechsel“ (vom Gemeinderat in die Verwaltung) „immer schwierig“, sagt Nohr. „Das hat Herr Schuh wahrscheinlich unterschätzt.“ Ausdrücklich fügt sie hinzu: „Als Fraktionsvorsitzender hat er immer gute Arbeit geleistet.“

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Ursula Clauß betont, sie habe mit Schuh „immer wirklich gut zusammen gearbeitet“. Für ihre Fraktion sei das Alter der beiden Bewerber „ein dickes Argument“ gewesen. Die Grünen hatten selbst nach einem Kandidaten oder einer Kandidatin gesucht, aber niemanden gefunden. Die SPD habe „Herrn Bednarz an Land gezogen. Das ist ein Riesen-Verdienst.“

Auch der WiR-Fraktionsvorsitzende Peter Cuno findet es „gut, dass es so gelaufen ist“. Cuno hatte schon in seiner „Rathausrunde“ vor drei Wochen angedeutet, dass die WiR zu Bednarz tendiert („Frischer Wind“) – trotz mancher Zweifel. Gegen Schuh sprach: „Ein Aufstieg im eigenen Haus ist immer problematisch.“ Das sei auch in der Wirtschaft so. „Jetzt hat der Jüngere gewonnen, und der von außen.“

Linken-Stadtrat Emanuel Peter bezeichnet das Ergebnis „als ziemliche Klatsche“ für die CDU. „Sie kann nicht mehr so durchregieren wie früher. Das hängt weniger mit der Person Horst Schuh zusammen.“ Schuh sei sehr qualifiziert und pragmatisch. Allerdings habe er „keine Vision“ vermitteln können. Bednarz dagegen habe ein „deutliches soziales Profil“ gezeigt. „Das ist in Rottenburg bisher zu kurz gekommen.“ Peter freut sich auch aus einem anderen Grund: „Die bisherige Allianz CDU-SPD-Grüne ist durchbrochen. Das gibt auch für uns neue Möglichkeiten.“

Die Sprecher der Freien Bürger und der Jungen Aktiven waren gestern telefonisch nicht erreichbar.

Bednarz beginnt schon mit dem Einarbeiten

Den Wahlsieger Hendrik Bednarz erreichten wir gestern in seinem Büro im Reutlinger Landratsamt. Wann er von dort ins Rottenburger Rathaus wechseln wird, „das müssen meine Vorgesetzten noch verhandeln“. Der bisherige Finanzbürgermeister Volker Derbogen geht Ende August in den Ruhestand. Aber auch schon in den nächsten Wochen will Bednarz öfter mal nach Rottenburg kommen – zum Kontakte knüpfen und zum Einarbeiten.

Auch Horst Schuh war am Mittwoch gleich wieder bei der Arbeit. Er habe gut geschlafen, sagte er am Telefon. „Gestern war gestern. Für mich ist die Sache erledigt. Ich bin mit mir im Reinen.“ Mehr wolle er nicht sagen.

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Erstellt:
28.07.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 31sec
zuletzt aktualisiert: 28.07.2016, 01:00 Uhr

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