1.200 beim 80. Jahrestag des Mössinger Generalstreiks

Vorbild für Zivilcourage

Mössingen. Nicht in Berlin, nicht in Köln. Ausgerechnet in der Provinz wagten vor 80 Jahren rund 800 Mössinger den Generalstreik gegen Hitler und das NS-Regime. 80 Jahre danach kamen rund 1.200 Kundgebungsteilnehmer am Samstagnachmittag zur "historischen Demonstration" nach Mössingen, würdigten die couragierte Haltung der damaligen Streikenden und verwahrten sich vor Diffamierung der Beteiligten.

02.02.2013

Von Manfred Hantke

Verdi war da, die IG Metall, auch die Antifaschisten ließen sich sehen, ebenso die Couragefrauen, die Landtagsabegordneten Daniel Lede Abal (Grüne) und Rita Haller-Haid (SPD) sowie die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel (Die Linke) und eine ganze Menge "ganz normaler" Menschen; viele kamen aus Tübingen und Reutlingen.

Mit etwa 800 Kundgebungsteilnehmern begann die Erinnerung an den Generalstreik vor 80 Jahren auf Mössingens Jakob-Stotz-Platz. Während des Zuges auf historischen Pfaden - allerdings in umgekehrter Richtung - wuchs die Schar auf rund 1.200 an (die Polizei spricht von 600 Teilnehmer/innen). Bei der einstigen Pausa Weberei, dem heutigen "Haus an der Steinlach", hielten Teilnehmer die Kopie eines Plakats vor 80 Jahren in die Höhe: "Hitler bedeutet Krieg".

Mit Transparenten wie "Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" oder "Generalstreik 1933 - Vorbild für Zivilcourage heute" nahmen die Teilnehmer manch einen Redebeitrag vorweg.

Es sei eine Schande, so Jens Rüggeberg, dass im Mössinger Amtsblatt eine Anzeige veröffentlicht werden konnte, die das Andenken der Generalstreikteilnehmer verunglimpfe. Er meinte damit "Reaktionäre im eigenen Gemeinderat". Rüggeberg sprach sich unter Beifall für eine Straßenumbenennung in Mössingen aus: Die Otto-Merz-Straße solle künftig Jakob-Textor-Straße heißen (Merz hatte Streikteilnehmern fristlos gekündigt, Textor war einer der Beteiligten des Streiks vor 80 Jahren).

Rund 1.200 Kundgebungsteilnehmer machten sich am Samstagnachmittag auf den Weg der Streikenden vor 80 Jahren.

Rund 1.200 Kundgebungsteilnehmer machten sich am Samstagnachmittag auf den Weg der Streikenden vor 80 Jahren.

"Keine Toleranz" gegenüber Nazis forderte Gerhard Bialas von der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes (VVN). Die NPD und ihre Organisationen sollten verboten und aufgelöst werden. Denn es dürfe nicht sein, dass "rechte Banden" ausländische Mitmenschen bedrohten. Bialas: "Solche Umtriebe müssen beendet werden." Bialas zufolge haben die Mössinger vor 80 Jahren richtig gehandelt, für deren "mutigen Einsatz sind wir ihnen zu Dank verpflichtet".

Die von den Kundgebungsteilnehmern begrüßte Änderung der Otto-Merz-Straße in Jakob-Textor-Straße wurde schon mal vor einer Entscheidung des Gemeinderats umgesetzt.

Die von den Kundgebungsteilnehmern begrüßte Änderung der Otto-Merz-Straße in Jakob-Textor-Straße wurde schon mal vor einer Entscheidung des Gemeinderats umgesetzt.

Zufrieden war Andrea Ayen, dass die Generalstreikteilnehmer durch die Demonstration und Kundgebung "endlich gewürdigt werden". Vater, Onkel und Großvater waren damals dabei. Über Jahrzehnte hinweg sei das Thema totgeschwiegen, die Teilnehmer diffamiert worden. Doch die Diffamierung ginge "leider auch heute noch" weiter, wenn etwa die Teilnehmer als Gewalttäter bezeichnet würden. Ayen: "Das lassen wir uns nicht gefallen."

Der Streik von 1933 sei "die früheste Aktion gegen das Nazi-Regime" gewesen, so Ayen, "so früh wie hier war keiner dran". Widerstand sei doch Bürgerpflicht gewesen, Zivilcourage sei auch heute noch wichtig und notwendig.

Nach Polizeiangaben verliefen Demonstration und Kundgebung friedlich und störungsfrei.

Siehe auch die Artikelsammlung über den Mössinger Generalstreik und die Kontroverse auf www.zeit-zeugnisse.de

Eine ausführliche Berichterstattung über die "historische Demonstration" lesen Sie am Montag in der Printausgabe des Schwäbischen Tagblatts.