Alles Gute für die Gäste

Vor 125 Jahren wurde der Bürger- und Verkehrsverein gegründet

In die Angelegenheiten des Gemeinderats mischt sich der Bürger- und Verkehrsverein schon lange nicht mehr ein. Er hat sich längst darauf konzentriert, den Tourismus anzukurbeln und alles dafür zu tun, dass sich die Gäste wohl fühlen in Tübingen. Vor 125 Jahren, als der Verein gegründet wurde, war das noch ein bisschen anders.

30.04.2016

Von SABINE LOHR

Wo geht es zum Schloss? In der Geschäftsstelle des Bürger- und Verkehrsvereins half en auch schon 1959 die Angestellten den Touristen. Damals noch im arg beengten Kiosk-Häuschen, an dessen Stelle heute der aufgestockte Bau aus dem Jahr 1965 steht. Bild: BVV

Wo geht es zum Schloss? In der Geschäftsstelle des Bürger- und Verkehrsvereins half en auch schon 1959 die Angestellten den Touristen. Damals noch im arg beengten Kiosk-Häuschen, an dessen Stelle heute der aufgestockte Bau aus dem Jahr 1965 steht.

Bild: BVV Der Anspruch war hoch: „Der Verein verfolgt den Zweck, die Interessen der Stadt und der Einwohnerschaft nach allen Richtungen hin wahrzunehmen, den Fremdenverkehr zu heben und sich mit allen das Wohl der Stadt berührenden Fragen zu beschäftigen. Politische Parteibestrebungen sind ausgeschlossen.“ So heißt es in Pararaph 1 der Satzung des Bürgervereins, der sich 1891 gründete.

Ein großes Ziel also, das sich die Mitglieder da gesetzt haben – und das oft in einer Weise ausgeübt wurde, das weder dem Gemeinderat noch der Stadtverwaltung passte. In den 50er- und 60er-Jahren gab es deshalb gehörigen Knatsch, und es dauerte eine ganze Weile, bis sich der Bürgerverein besann und sich fast ausschließlich der Tourismusförderung widmete. Mit gehörigem Erfolg übrigens: Im vergangenen Jahr übernachteten fast 240000 Gäste in Tübingen – und die Tagesgäste gehen in die Millionen.

Aber zurück zum Anfang, zurück ins Jahr 1891. Tübingen war damals noch ziemlich klein: Gerade mal 18000 Einwohner lebten hier, davon 7000 in der Altstadt. Einer davon war Gymnasialprofessor Eugen Nägele, der außerdem Redakteur, Publizist, Mitbegründer des Schwäbischen Albvereins und Mitglied in so ziemlich allen Tübinger Vereinen war. Nägele tat sich mit einigen anderen Honoratioren zusammen, die der Meinung waren, Tübingen fehle es an allem Möglichen. An Studenten, an Fabriken, an Touristen. Kurzum, es wurde ein Verein gegründet, der voller Tatendrang die Sache in Angriff nahm und erstmal Anzeigen schaltete, um Touristen zu werben. Und Abiturienten, die in Tübingen studieren sollten. Schon im Juli, so hat Holger Starzmann für den BVV recherchiert, habe es touristische Anfragen eines Engländers, eines Franzosen, eines Norddeutschen und einer baltischen Familie gegeben, und zwar „binnen Monatsfrist“.

Damit sowohl die Touristen als auch die angehenden Studenten eine Unterkunft finden, eröffnete der Bürgerverein 1892 in der Heckenhauerschen Buchhandlung eine Zimmervermittlung. Sieben Jahre später erschien die erste Ausgabe der „Tübinger Blätter“, die es bis heute gibt.   Daneben organisierte der Bürgerverein Aussprache-Abende, bei denen über alles diskutiert wurde, was die Gemüter in der Stadt gerade bewegte.

Bis 1930 stiegen die Touristenzahlen und dem BVV genügte sein Domizil nicht mehr. Die Stadt mietete deshalb ein kleines Häuschen an der Eberhardsbrücke, in dem der BVV seine erste Touristinformation einrichtete.

Wie alle Vereine schalteten die Nazis auch den BVV gleich – das heißt, Nationalsozialisten übernahmen den Vorstand, der Verein kam zum Erliegen und wurde erst 1947 wieder gegründet.

Drei Jahre später fingen die Konflikte an, denn der Ausschuss des BVV beschloss, sich mehr in kommunalen Belangen zu engagieren, indem er sowohl die Verwaltung als auch den Gemeinderat beraten und zwischen diesen beiden und den Bürgern vermitteln wollte. Das passte dem Gemeinderat aber keineswegs. Der BVV, hieß es, würde sich in Dinge einmischen, die ihn nichts angingen. Dem schloss sich die Verwaltung an. Den Verein scherte das wenig, er mischte sich weiterhin ein, wo immer es ihm passte. Dazu kam dann noch, dass es auch innerhalb des BVV Spannungen gab. Erst 1965 wurde es besser – als sich der Verein ausschließlich darauf verlegte, den Tourismus anzukurbeln, sich um die Gäste zu kümmern und auch etwas für die Stadtgesellschaft zu tun.

So organisierte er Ausflüge für seine Mitglieder in die Partnerstädte, bot Stadtführungen an, zog von einem Behelfsbau bei der AOK zurück an die Eberhardsbrücke in einen Neubau (der 1979 aufgestockt wurde), betrieb den Campingplatz (allerdings schon seit 1954), veranstaltete (seit 1955) das Sommerfest und organisierte von 1952 bis 1986 den Blumenschmuckwettbewerb. Und er vertrieb immer mehr Souvenirs. Eins der beliebtesten war der vom Tübinger Künstler Ugge Bärtle modellierte „Jockele sperr“ (Bild) – eine Flößerfigur, die den Spottnamen trug, den Tübinger Studenten den Flößern verpasst hatten.

Inzwischen ist der Bürger- und Verkehrsverein unverzichtbar in der Stadt – als Ansprechpatrner für alle, die mit Tourismus zu tun haben und für die Touristen selbst. So stieg etwa die Anzahl der Stadtführungen und Stocherkahnfarten von 631 im Jahr 1985 auf 4850 im vergangenen Jahr. Die Tages- und Übernachtungsgäste geben zusammen pro Jahr inzwischen an die 200 Millionen Euro in Tübingen aus – in Hotels, Restaurants, Geschäften, Bädern, Museen, für Busse, Führungen, Konzerte.

Ein Grund also, zu feiern – was der BVV am, Samstag, 7. Mai, mit allen tut, die Lust dazu haben (siehe Kasten). Und für alle, die sich tiefer in die Geschichte des BVV vertiefen möchten, hat der Verein eine umfangreiche Festschrift herausgegeben, die am 12. Mai erscheint und in der Touristinformation für 9,80 Euro zu haben ist.

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So feiert der Bürger- und Verkehrsverein

Rund um die Touristinformation an der Neckarbrücke steigt am Samstag, 7. Mai, von 11 bis 24 Uhr das Jubiläumsfest. Es gibt Deftiges und Süßes zu essen, außerdem neben alkoholfreien Getränken auch Sekt, Weine und Bier. Einige DJs und das Acoustic Wing Trio sorgen für Unterhaltungsmusik. Um 14 Uhr beginnen kostenlose Stadtführungen – in 14 Sprachen (englisch, französisch, spanisch, italienisch, portugiesisch, schwedisch, ungarisch, polnisch, rumänisch, russisch, japanisch und chinesisch). Auf der Platanenallee warten dazu 14 Gästeführer mit entsprechenden Landesfahnen auf die Teilnehmer. Von 17 bis 21 Uhr bietet der BVV kostenlose Stocherkahnfahrten an. Sie starten im Halbstundentakt beim Bootsverleih unterhalb der Touristinformation.

Mit einem offiziellen Festakt für geladene Gäste würdigt die Stadt am 12. Mai den BVV.

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Erstellt:
30.04.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 44sec
zuletzt aktualisiert: 30.04.2016, 01:00 Uhr

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