Übrigens…

Vom Schwindel des Vergessens

Ich habe meinen Text vergessen! Wer das zu Anfang eines solchen Textes schreiben muss, der hat ... ja was? Verspielt? Verzockt? Verwasweißich?

27.05.2016

Von Winfried Gaus

Zuallererst hat der Autor Pech – während die Leserschaft sich nicht sicher sein darf, ob sie es auch als Pech oder vielleicht doch als Glück empfinden sollte, wenn hier etwas erscheint oder auch nicht. Denn nicht erst seit den bundesweit verkündeten Lügenpresse-Wahrheiten wissen wir ja alle, was Geschriebenes bewirken kann.

Man denke nur an Zusammenbauanleitungen, per Automat übersetzt aus feindlich gesinnten Fremd-Sprachen, die dazu führen, dass Sie mit der Schraube S5 und der Mutter M8 weder Ihr Schränkle noch Ihre Nerven zusammenhalten. Oder jene noch wunderbareren Wort-für-Hauptwort-Übersetzungen auf Internet-Homepages französisch-italienischer Alpental-Fremdenverkehrsämter, die mit beglückenden Harmonien für die Seele und den Körper des Waschsalons an der Rezeption im Grün der Luft an der Schneise des Flusses werben. Ja, da möchten wir alle hin – und den Mann von der Werbeagentur besuchen, denn im Urlaub soll ja der Stress des Alltags von uns abfallen, und das gelingt auch dadurch, dass man einen Depp, der es verdient, auch mal Depp nennt.

Oder, nur so zum Spaß, das Kauderwelsch des Zivilrechts. Sie leiden an keiner ansteckenden Zungenkrankheit? Dann dürfen Sie weiterlesen und versuchen, die pandektistischen Kodifikationen zu überstehen, gewissermaßen das Inhaltsverzeichnis der folgenden, Sie schwindlig machenden Rechtskreise, in denen Sie sich irgendwann zu drehen beginnen. Frei nach Wikipedia (bitte halten Sie sich irgendwo fest): „Im deutschen Zivilrecht ist die Willenserklärung die Äußerung eines Rechtsfolgewillens, also die Kundgabe (Erklärung) des Willens einer Person, die einen Rechtserfolg beabsichtigt. Dieser Erfolg soll nach der Rechtsordnung eintreten, weil er vom Erklärenden gewollt ist. Fallen Wille und Erklärung auseinander, liegt ein Willensmangel vor.“

Im Vergessen eines Textes kann also durchaus Glück liegen, auch wenn abertausende Juristen, deren Alltag von obiger Sprachdurchdringung durchglückt wird, mir nicht zustimmen werden.

Es schadet auch nicht, nicht lesen zu müssen, dass Menschen (übrigens überwiegend junge) dort abgeholt werden müssen, wo sie sich aufhalten. Bevorzugt sozialpädagogisch ambitioniert Arbeitende oder konfessionale Jugendwerker und -innen bedienen sich dieses aufsuchenden Wortschatzes, um ihrer Alltag Mühsal herunterzubrechen auf unseren Verständnishorizont.

Ich hatte meinen Text vergessen. Anfangs. Was ein Glück. Ich will mir nicht ausmalen, was alles hätte sonst hier stehen können. Vergeben Sie mir? Vergessen wir’s? Vertrau’n wir uns wieder?