Waldlust Freudenstadt

Vom Nobelhotel zur Film- und Theaterkulisse

Das ehemalige Grandhotel Waldlust in Freudenstadt hat seine glanzvollsten Jahre lange hinter sich. Doch der Belle Epoque-Palast an der alten Kurpromenade erlebt einen ungewöhnlichen Boom als Foto-, Film-, und Werbe-Location. Ungebrochen ist auch das Interesse etwa an Architektur-Führungen durch die denkmalgeschützte alte Nobelabsteige.

22.07.2016

Von Siegfried Schmidt

 Alte Kunstdruckansicht, die die Aussichtslage des „schönstgelegenen Hotels im Schwarzwald“ ausweist. Repro: Kuball

Alte Kunstdruckansicht, die die Aussichtslage des „schönstgelegenen Hotels im Schwarzwald“ ausweist. Repro: Kuball

König Gustaf von Schweden, der Prince of Wales, die Königin von Holland – sie und viele weitere Adelsgäste aus ganz Europa weilten hier zur Kur. Dazu kamen Berühmtheiten aus Großbürgertum, Hochfinanz, aus Kunst, Politik und Literatur: Rockefeller, Lloyd George, H.G. Nobel, Fritz Kreißler, Fedor Schaljapin und Gerhard Hauptmann. Auch Mark Twain soll die Waldlust bereist haben, doch den höchsten Glamourfaktor dürfte Hollywoods Jetset-Traumpaar Douglas Fairbanks und Mary Pickford, beide Filmschauspieler und United Artists-Mitgründer, gestiftet haben. Eine alte Fotoaufnahme zeigt die VIP-Gäste im Kreise weiterer vornehmer Herrschaften aus Übersee vor dem Hotelportal.

Es waren die Zwanzigerjahre, als das Hotel Waldlust zur Grandhotel-Größe und märchenhaftem Ruhm aufstieg. Kaum waren die Kriegsjahre vorbei, realisierte der Hotelgründer Ernst Luz, ältester Sohn einer ganzen Dynastie Freudenstädter Hotelpioniere, seine lang gehegten, großen Ausbaupläne. Was 1899 mit einem schmucken Sommerhaus und Waldcafé am Panoramahang von Freudenstadt begonnen hatte und schon 1903 nach den Plänen des Stararchitekten Wilhelm Vittali zu einem „Hotelschloss“ erweitert wurde, gelangte 1922 zur vollen Ausdehnung. Mit dem malerischen Südtrakt und seinen aussichtsträchtigen Loggien, Veranden und Liegebalkons für das High Society-Publikum, dem großen Ballsaal in Art Deco-Stil, mit seinen direkt angrenzenden großzügigen, gepflegten Parkwald-Promenaden entsprach die Waldlust den internationalen Gepflogenheiten eines Grand- und Badhotels. Die Nobelherberge versprach und behauptete auch und gerade im entlegenen Schwarzwald und im heimlichen Wettstreit mit dem nahen Baden-Baden allen Luxus und das Ambiente höchster gastlicher Raffinesse. Mit Buchungsagenturen in London und New York und über 80 Prozent Auslandsgästen, viele aus Übersee, war Freudenstadts Premiumhotel ein frequentierter Hot Spot der Haute volée und für den boomenden Kurort damit das Tor zur Welt.

Lange vorbei diese heute phantastisch und legendär anmutende Epoche der 20-er und 30-er Jahre. Nach 1950 und einer über zehn Jahre dauernden Karenzzeit mit Militär- und Lazarett-Nutzung und später stark eingeschränktem Hotelbetrieb gelangte das Luz-Waldlust noch einmal zu einer den Ruhm mehrenden Nachkriegs-Blüte. Doch als das Haus aus dem Familienbesitz abfiel, begann die Zeit des allmählichen Abstiegs, wie er auch andere mondäne Kurhotels im Schwarzwald erfasste. Besitzerwechsel, vorübergehende Renovierungsschließungen, touristische Stagnation – der alte Charme und Habitus blieben zwar noch gegenwärtig, doch die Zeiten der Grandhotellerie und „Luftschnapper“-Kuren waren und sind längst Geschichte.

2005 dann der endgültige Schlusspunkt. Auch die zuletzt verbliebene Pachtfirma hatte abgewirtschaftet und gab auf. Die Waldlust verfiel in einen Dornröschenschlaf. Was einst ihren Ruf förderte, die herrliche Stadtrandlage, nur zehn Gehminuten vom Marktplatz entfernt, vom Parkwald nahezu umschlossen, hätte beinahe ein böses Schicksal nehmen können. Wenn nicht, nachdem der Hotelbesitz quasi in flagranti aufgegeben war, Freudenstädter Denkmalschützer sich des Waldpalasts angenommen hätten.

Hundertjährige Hotel-Magie

Beharrlich, mit Wagemut und unerschütterlichem Zweckoptimismus, mit viel Arbeitseinsätzen, aber vom Patenobjekt und seiner über 100-jährigen Geschichts-Magie begeistert getragen, haben die Denkmalfreunde seither ihre schützende und wachende Hand übers frühere Renommierhotel gehalten. Die Denkmalvereins-Aktiven tun ihr Möglichstes, um das Haus vor Schädigungen und Verfall, vor Zerstörungen und Übergriffen zu sichern. Dachinstandsetzung, Gangbarmachung verstopfter Fallrohre, Versiegeln schadhafter Terrassenflächen, Kontrollgänge sowie die Pflege auch des umgebenden Garten- und Park-Areals sind seit Jahren unerlässliche Notwendigkeiten, um dem Denkmalgebäude eine Chance auf die Zukunft, auf Restaurierung und Neunutzung, mitzugeben.

Der Bausubstanzerhalt, die Bewahrung der Denkmaleigenschaft, sind die eine Seite, die Schicksalsehe mit der altehrwürdigen Waldlust fordert auch zukunftsweisende Schritte: Der Denkmalverein hat neben all den ordnenden und pflegerischen Maßnahmen auch ein umfangreiches Bauschadensgutachten erstellt, dazu eine Immobilieneigentums-Expertise erhoben, es liegen erste Konzeptstudien für ein Grandhotel neuen Formats vor. Es gab zahlreiche Gespräche und Kontakte mit Projektinteressenten, reichen Investoren, mit potenziellen Hotelbetreibern aus dem Luxussegment – allein, es fehlt bis dato der durchschlagende Erfolg. Mit Öffentlichkeitsarbeit und Public Relation, mit Vorträgen und Kulturevents wird versucht, die Bedeutung dieses Denkmals für Stadt und Region bewusst zu machen.

Fotografen stehen Schlange

Verblichener Charme und melancholisch stimmende Morbidität, die Faszination alter Prachtentfaltung und vieler berühmter Einträge in den Hotel-Gästebüchern, der Kulissenzauber wie aus Thomas Manns Romanwerk „Der Zauberberg“ – all dies hat zu einem regelrechten Run auf die Waldlust geführt. Fotografen und Fotogruppen aus dem ganzen Bundesgebiet, aus den Benelux-Staaten, aus Frankreich, England und der Schweiz reisen an, um das Haus und seine inneren Schauwerte in Kunstfotografie zu bannen. Die Urban Explorer-Szene, die den hippen, im Zustand von Vergänglichkeit und Verfall schwebenden „Lost Places“ fast schon rauschhaft nachspürt, hat das Denkmal seit drei Jahren fest im Griff. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Anfragen eintreffen und um eine Fototour nachgesucht wird. Eine Pro7-Galileo-Reportage über die Waldlust und ihre auch vermeintlich dunklen Seiten hat geradezu sturzlawinenartiges Interesse entfacht. Auch der letzte Kinostreifen, der 2011 in den Zimmern, Korridoren und dem Ballsaal gedreht wurde, eine fiktionale Horrorlegende, hat das Sensationsinteresse vieler Besucher geweckt. Bei den Hotelführungen zu Architektur und Kurgeschichte der Waldlust wird häufig nach dem von Nervenkitzel und Schaudern getriebenen Filmdrama und seinen Spielorten gefragt. Andere erkundigen sich nach berüchtigten Zimmernummern, nach Personen und deren angeblich tragischem Schicksal.

Soviel Aufhebens um Gerüchte, soviel Legendenstricken wird von den Denkmalfreunden weniger goutiert. Hat die Waldlust doch einen Ruf als pittoreskes Hotel und Pioniertat aus Gründertagen zu wahren und zu verteidigen. Wenigstens haben die Hochzeitsfotografen, die mit Brautpaar im Schlepptau, nach reizvollen, romantischen Settings suchen, nichts mit Geisterspuk im Sinn.

Viel eher ins Konzept eines auf Zukunft und Nachhaltigkeit angelegten Relaunches passt die akribische, empirisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Hotel und dem Freudenstadt-Quartier Altes Kurviertel durch eine Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin. Die Magisterarbeit zur „Revitalisierung von Freudenstadts Kurerbe“ (HfT Stuttgart 2015) erläutert nicht nur faktenreich den zum Hotelsterben führenden Strukturwandel im Kurwesen, sie erkennt auch zielvoll die Chancen und Möglichkeiten, die von sanierten historischen Bauwerken ausgehen. Kulturtourismus, schreibt Regine Guglielmo sehr plausibel, ist zum größten Teil Architekturtourismus. Sanierte Objekte schafften nicht nur Identität und Unverwechselbarkeit, durch sie kann auch Geschichte erzählt und veranschaulicht werden. Baukultur und Tourismus seien enge Verbündete bei der Herausbildung eines „Attraktionsportfolios“. Segensreiches Wasser auf die Mühlen zur Rettung der Waldlust.

Theaterspaziergang Waldlust

Dass das noch unsanierte Geschichtshotel auch ohne aufgehübschte Fassade und einen geregelten Wirtschaftsbetrieb zur Stätte der Betriebsamkeit und Erbauung taugt, beweist in diesem Jahr wieder die aktuelle Sommertheater-Produktion. Für den Theaterspaziergang „Alles Glück der Welt“ von der Hotel-Festwiese durch die Saaletage und über Promenadewege auf die umliegenden Waldbühnen ist die Nobelfluchtburg allererste Wahl.

Schön wäre, wenn das Glück der Welt eines nicht mehr allzu fernen Tages auch dem Denkmal blühen würde.

Die Schaufassade des alten Grandhotels, an einem klaren Morgen in scharfen Konturen fotografiert. Bild: Charly Dombrow.

Die Schaufassade des alten Grandhotels, an einem klaren Morgen in scharfen Konturen fotografiert. Bild: Charly Dombrow.

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Erstellt:
22.07.2016, 08:00 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 21sec
zuletzt aktualisiert: 22.07.2016, 08:00 Uhr

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