Keine Gratis-Fahrten zur Schule

Verwaltungsgericht wies Klage einer Rottenburger Familie über die Beförderungskosten zurück

Es war ein großer Tag für Benjamin Keck und seinen Vater. Am Donnerstag verhandelten sie vor dem Verwaltungsgericht in Sigmaringen mit dem Landkreis Tübingen, wer die Kosten für den Weg zur Schule tragen muss.

21.07.2017

Von Madeleine Wegner

Die Kläger Benjamin und Theo Keck (rechts) vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen. Bild: Wegner

Die Kläger Benjamin und Theo Keck (rechts) vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen. Bild: Wegner

Die Familie hatte gegen den Kreis geklagt und eine für Eltern kostenfreie Schülerbeförderung gefordert. Das Verfahren, das als Musterklage geführt wurde, hätte auch andere Eltern im Land von diesen Kosten befreien können. Gestern gab das Verwaltungsgericht in einem schriftlichen Urteil bekannt, dass es die Klage des Schülers und seiner Eltern auf Grund der mündlichen Verhandlung abgewiesen hat.

„Wir haben es als Teilerfolg interpretiert, dass sich das Gericht überhaupt zuständig fühlt“, sagte Stephan Ertle, der Vorsitzende des Landeselternbeirats (LEB). Der LEB hatte die Musterklage initiiert und unterstützt die Kläger. „Insofern freuen wir uns über das Urteil“, sagte Ertle.

In der zweieinhalbstündigen mündlichen Verhandlung wurde deutlich, wie schwierig die Lage juristisch ist. „Das Verfahren ist rechtlich äußerst komplex“, hatte der Vorsitzende Malte Graßkopf am Donnerstag gesagt.

Freie Fahrt dank Völkerpakt?

Die Kläger berufen sich vor allem auf Artikel 13 des UN-Sozialpakts, in dem es um das Recht auf Bildung geht. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte stammt aus dem Jahr 1966, die Bundesrepublik hat ihn 1968 unterzeichnet. Eine der grundlegenden Fragen für die Klage war nun, ob sich aus diesem Völkerpakt ein Recht für den Einzelnen ableiten lässt oder ob es lediglich um die Staatenbindung gehe. Im Pakt heißt es unter anderem, dass der Schulunterricht „für jedermann Pflicht und allen unentgeltlich zugänglich sein muss“. Dazu zählt laut Thomas Würtenberger, der die Kläger vertritt, auch die Beförderung zur Schule. In diesem Sinne müsste auch die Landesverfassung ausgelegt werden.

In der Verhandlung wurden weitere Schwierigkeiten deutlich. So lebt Benjamin Keck je die Hälfte der Zeit beim Vater und bei der Mutter. Von seinem Vater Theo Keck aus ist der Schulweg rund 7 Kilometer lang. Seine Mutter jedoch, bei der er offiziell gemeldet ist, wohnt nur 2 Kilometer vom Gymnasium entfernt. Für einen Zuschuss zur Fahrkarte muss der Schulweg jedoch ohnehin mindestens 3 Kilometer lang sein.

Früher zahlte das Land

Auch war nicht klar, ob sich die Klage tatsächlich gegen den Kreis zu richten habe und sie damit überhaupt zulässig sei. „Eigentlich wäre der Schulträger der richtige“, sagte Landrat Joachim Walter. Denn der Kreis ersetze den Schulträgern lediglich die Kosten. Ihm war dabei ein Rückblick in die Geschichte wichtig: In den 1970er-Jahren hat das Land entschieden, die Kosten für die Beförderung zu übernehmen. 1986 jedoch hat es diese Aufgabe auf die Landkreise übertragen und diesen fortan dafür eine Pauschale gezahlt. 1997 kürzte das Land diesen Betrag um damals 100 Millionen Mark, 2012 hob es ihn wieder an, jedoch nur um 20 Millionen Euro. „Das bedeutet, die Zuweisungen liegen immer noch 30 Millionen Euro unter dem ursprünglichen Wert von 1997“, sagte Walter. „Und das trotz der Kostensteigerungen im Laufe der vergangenen 20 Jahre.“

Eine Monatskarte, mit der Benjamin Keck zum Eugen-Bolz-Gymnasium fahren kann, kostet 43,30 Euro. Davon zahlen seine Eltern 40,30 Euro, drei Euro schießt der Kreis zu. Müsste der Kreis die komplette Summe übernehmen, würde das Geld an anderer Stelle fehlen, sagte Walter. „Da schneiden sich die Eltern selbst ins Fleisch.“ Denn der Fahrtkostenzuschuss finanziere sich über die Kreisumlage und damit durch Gelder aus den Städten und Gemeinden. „Ich würde den Eltern eher raten, den politischen Weg zu gehen.“

Klage gegen die Stadt?

Diesen Weg sei der Landeselternbeirat bereits gegangen, bevor er die Klage überhaupt in Erwägung gezogen habe, sagt der LEB-Vorsitzende Ertle. Er hätte bereits mit Fraktionen in Landkreisen sowie mit Ministern der Landesregierung und mit dem Ministerpräsidenten Kontakt aufgenommen. „Wir werden das parallel erneut angehen“, kündigte Ertle an. Außerdem überlege der LEB, die Stadt Rottenburg verantwortlich zu machen. „Das ist eine zweite Klage, die wir in Erwägung ziehen“, sagte Ertle.

Für eine juristische Reaktion auf das Urteil müssen die Kläger die schriftliche Urteilsbegründung abwarten, die in einigen Wochen erfolgen soll. „Wir sehen in zweiter Instanz gute Möglichkeiten“, sagte Theo Keck. Er wolle weiter für die kostenfreie Schülerbeförderung kämpfen. Auch Ertle betont: „Aufgeben tun wir überhaupt nicht.“

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Erstellt:
21.07.2017, 19:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 05sec
zuletzt aktualisiert: 21.07.2017, 19:00 Uhr

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