Eröffnet und fast ausgebucht

Verein Ceres gründete zweite Wachkoma-Wohngemeinschaft in Mössingen

Der erste Bewohner ist eingezogen. Und noch in diesem Monat werden weitere erwartet. Vier Plätze gibt es in der neuen Wachkoma-WG in direkter Nachbarschaft zum Mössinger Ceres-Haus.

09.08.2016

Von Susanne Wiedmann

Annette Saur und Wolfgang Clemens, die Ceres-Vereinsvorsitzenden, im Aufenthaltsbereich der neuen Wachkoma-WG. Hier wurde eine Wand eingezogen, um ein weiteres Zimmer einzurichten. Unter der schwarzen Decke hängt als Netz ein LED-Sternenhimmel. Aber noch fehlt manches Mobiliar. Bild: Rippmann

Annette Saur und Wolfgang Clemens, die Ceres-Vereinsvorsitzenden, im Aufenthaltsbereich der neuen Wachkoma-WG. Hier wurde eine Wand eingezogen, um ein weiteres Zimmer einzurichten. Unter der schwarzen Decke hängt als Netz ein LED-Sternenhimmel. Aber noch fehlt manches Mobiliar. Bild: Rippmann

Mössingen. Nicht weniger als neun Monate stand die Erdgeschosswohnung leer. Klar, dass der Vermieter dies bedauerte. Gerade hatte er im Gespräch mit Annette Saur, der Ceres-Vorsitzenden, davon berichtet, als sie ihn scherzend fragte: „Warum machen wir keine WG daraus?“ Und er antwortete: „Ich hol den Schlüssel!“ Abends tagte der Ceres-Vereinsvorstand: „Alle haben gesagt: Zuschlagen!“, erzählt Saur. Und wer ihre zupackende Art kennt, wundert sich keinen Moment.

Es war Juni. In den folgenden Wochen sanierte der Verein zur Hilfe für Cerebralgeschädigte die Wohnung. Immerhin 37 000 Euro musste er investieren. Aber die Kreissparkasse habe sofort einen Dispokredit gewährt, berichtet Saur. „Ich bin sehr erleichtert.“

In zweiter Reihe steht das Gebäude, direkt hinter der Post in der Mössinger Bahnhofstraße. Zuletzt war dort das Wäschegeschäft „Body Fashion“ untergebracht, noch früher ein Musikladen. Im Gegensatz zum lindgrünen Ceres-Haus ist die neue Wohnung angemietet. „Wir zahlen erst das Haus ab“, sagt Wolfgang Clemens, der Zweite Vorsitzende.

Rund 150 Quadratmeter groß ist die Erdgeschosswohnung. Jeder Bewohner hat ein eigenes Zimmer mit weißen Tischen, Stühlen, Regalen. Hoch sind die Decken, hell die Räume. Allesamt gruppieren sie sich um einen großen Aufenthaltsbereich mit Küche, der Treffpunkt für Patienten, Pflegekräfte und Angehörige ist. Die schwarze Decke der Vorgänger haben die Ceres-Mitglieder dort belassen und darunter einen LED-Sternenhimmel gehängt, der seine Farben wechselt und die Aufmerksamkeit der Patienten weckt.

Neue Sanitäranlagen und eine Waschküche hat der Verein eingebaut. Noch dazu ein Lager eingerichtet, wo jeder Bewohner seine eigenen Vorratsregale hat – mit allem, was er braucht.

Was Ceres noch forderte, war ein Mauerdurchbruch in den Garten, der so zum Innenhof geworden ist, Mutterhaus und neue Wohngemeinschaft verbindet. Lavendel säumt die Wege, Zeltdächer schützen vor der Sonne. Hier sitzen sie an warmen Tagen beieinander: die Patienten in ihren Rollstühlen, Angehörige und Pflegekräfte.

Darunter ist der erste Bewohner der neuen WG: ein 63-jähriger Münsinger. Er war auf dem Fahrrad unterwegs, als er von einem Auto angefahren wurde. Dabei erlitt er schwere Schädel-Hirnverletzungen. Die Zeit in einer Reha-Klinik war vorbei. Wohin sollte ihn seine Frau nun bringen, wo könnte er professionell gepflegt und gefördert werden? Zufällig stieß sie auf einen Zeitungsartikel über Ceres und kam vorbei. „Ceres hat sich einen so guten Ruf erarbeitet, dass auch Rehakliniken direkt anrufen, ob ein Platz frei ist“, sagt Annette Saur. Als nächstes beziehen eine Frau aus Böblingen und eine Frau aus Mössingen die WG. Für den letzten Platz gibt es bereits Bewerbungen. Dann ist die Wohngruppe wieder einmal ausgebucht.

Und es sind nicht die einzigen Wachkoma-WGs, die Ceres betreibt: Der Verein hat zwei weitere Wohnungen angemietet: In Nürtingen für vier und in Esslingen für drei Patienten.

Die Nachbarschaft funktioniert, sagt Saur, die stets die Anwohner anschreibt und Ceres vorstellt. Es habe nie Probleme gegeben. So wohnt etwa eine Familie im Obergeschoss der neuen WG.

Nach wie vor hat Ceres jedoch Probleme mit der AOK. Die Krankenkasse wolle keine Eins-zu-Eins-Betreuung bewilligen. „Wenn der Arzt es so verschrieben hat, kann die Krankenkasse nicht dran rummachen“, empört sich die Vereinsvorsitzende. Den Patienten stehe eine 24-Stunden-Intensivpflege zu. „Das ist dringend notwendig. Wenn der Alarm losgeht, haben die Pflegekräfte zwei Minuten, die über Leben und Tod entscheiden. Was ist, wenn die Pflegekraft aber gerade einen anderen Patienten betreut?“

Die Bewohner werden von einem eigens aufgebauten ambulanten Pflegeteam des DRK-Kreisverbandes betreut. „Es spricht sich herum, dass es tolle Arbeitsplätze sind und eine tolle Stimmung ist. Der Krankenstand des Personals geht nahezu gegen Null“, sagt Saur. Und weiter: „Wenn es dem Pflegepersonal gutgeht, geht es auch den Patienten gut – und ihre Familien gesunden.“

Die Nachfrage nach Wohnplätzen ist groß. Noch nie musste Ceres für die Wohngemeinschaften werben. Annette Saur sagt: „Ich bin richtig zufrieden.“

Spenden für die neue Wachkoma-WG

Als die erste Wachkoma-WG in der Mössinger Bahnhofstraße im Jahr 2012 eröffnete, war dies eine Premiere in Baden-Württemberg. Das Ceres-Haus ist mit neun Bewohnern komplett voll. Je nach Größe kostet ein Zimmer zwischen 600 und 800 Euro Miete. Die Kosten für den Pflegedienst bezahlen die Krankenkassen. Mit den Mieteinnahmen werden die Darlehen getilgt. Wer für die neue Wachkoma-WG spenden möchte, kann dies auf das vereinseigene Konto bei der Kreissparkasse Tübingen:

IBAN: DE84 6415 0020 0000 4694 69.

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Erstellt:
09.08.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 12sec
zuletzt aktualisiert: 09.08.2016, 01:00 Uhr

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