Selbstverteidigung zwischen Reifen und Ölwanne

Tuning fürs Ego

Tagsüber macht Dietmar Marder kaputte Karren wieder ganz. Abends bringt er Menschen bei, wie sie Angreifer k. o. kriegen können. Am gleichen Ort.

11.10.2016

Von Kathrin Löffler

Das könnte ins Auto gehen: Kfz-Meister und Selbstvertreidigungslehrer Dietmar Marder (links) und der Polizeibeamte und Einsatztrainer Peter Datz wissen aber, wie Verteidigen geht. Das zeigen sie dort, wo eigentlich Karosserien bearbeitet werden. Bild: Haas

Das könnte ins Auto gehen: Kfz-Meister und Selbstvertreidigungslehrer Dietmar Marder (links) und der Polizeibeamte und Einsatztrainer Peter Datz wissen aber, wie Verteidigen geht. Das zeigen sie dort, wo eigentlich Karosserien bearbeitet werden. Bild: Haas

Susanne wurde mal angegriffen. Ihre Nichte auch. Und überhaupt, man hört ja so viel. Jetzt steht sie zwischen Reifenstapeln und Ölbehältern und übt Faustschläge mit Trainingspartnerin Simone. Oder besser: an Trainingspartnerin Simone. Es sind allerdings Griffpads im Spiel. Rund vier Monate geht das schon so. Susanne sagt, durch das simulierte Austeilen verliere sie ihre Hemmungen.

Ein Abend im September, eine Autowerkstatt im Reutlinger Hohbuch. Draußen senkt sich die Frühherbstdämmerung, drinnen gleißen weiße Lichtröhren, die Wände sind gefließt, diverse Schlüssel und Feuerlöscher und „Rauchen verboten“-Schilder hängen dran. Der Boden ist aus Stein, in kleinen Einschlagslöchern stehen Wasserpfützen. Durch die Fenster des blechernen Rolltores schimmert die Reklametafel von der Tankstelle gegenüber. Wo sonst Keilriemen und Zylinderkopfdichtungen den Gang alles Irdischen gehen, kämpfen 16 Menschen in Zweierteams. Zumindest tun sie so, als ob.

Dietmar Marder sagt ihnen, wie. Marder ist hier der Chef, außerdem Kfz-Meister und Betriebswirt. In seinem zweiten Leben ist er Fitnesstrainer und neuerdings auch zertifizierter Krav-Maga-Instructor (siehe Kasten). Und Dietmar Marder ist ein stolzer Mensch, deshalb hat er all seine Qualifikationsurkunden aus dem Körperertüchtigungssegment in den Empfangsbereich der Werkstatt genagelt. Damit handelte er sich nicht nur die Anerkennung seiner Kunden ein, sondern auch ihre Forderungen. In seiner Erinnerung gingen die so: „Wir wollen in keine Kampfschule, wir wollen in keine Schickimickimuckibude, kannst Du nicht hier mal was machen?“ Marder konnte. Seit Frühjahr schafft er jeden Montag verreckte Karossen aus der Werkstatt und zeigt, wie man sich mit Krav Maga aus Gefahrensituationen rettet.

Augen, Kehlkopf, Eier

Batsch – batschbatsch. Marder lässt seinen Spann in ein Schaumstoffpolster fliegen und schickt seine Ellenbogen hinterher. Man möchte da nicht Schaumstoffpolster sein. Die Schüler machen es nach. Ein paar noch zögerlich, bei anderen knallt es richtig. Die Schüler, das sind: 16 Frauen und Männer, Teenie-Mädchen mit blondem Pferdeschwanz, tätowierte Jungs, stramme Kerle in Camouflagehosen. Die älteste Teilnehmerin ist 60. Oft sind die Frauen in der Mehrzahl. Marder will ihnen zeigen, „dass es kein schwaches Geschlecht gibt“. Und an welchen Punkten sie zu Zudringliche am raschesten außer Gefecht setzen: „Augen, Kehlkopf, Eier.“

Marder sagt: „Wir machen hier reine Selbstverteidigung. Keine Akrobatik.“ Das Training dient in erster Linie dem Ego statt dem Muskelapparat. Als Sport betreiben könne man Selbstverteidigung aber auch, sagt Peter Datz. Das ständige Faustfeuer treibe den Puls nach oben. Datz ist Einsatztrainer bei der Polizei. Er unterrichtet mittwochs in Marders Werkstatt: Dann erklärt er, wie man Angreifern nach dem sogenannten Hammer Concept mit Handy, Autoschlüssel oder Eyeliner einen Zahn ausschlagen könnte. 4,90 Euro kostet so eine 90-Minuten-Einheit Selbstvertrauen.

Marder schlängelt sich um seine Schüler, Fußklatscher echoen durch die Schrauberhalle, „schön durchziehen“, instruiert der Meister. Hier trägt keiner die aktuelle Workout-Kollektion in Neonfarben, hier herrscht nicht die aseptische Laufstegsatmosphäre moderner Körperdefinierungsanstalten. Hier wird nicht gestylt. Hier ist es grau und kantig und ein bisschen schmutzig, ideale Fight-Club-Ästhetik. Aufpassen muss man aber schon. Zu nah an die Hebebühne darf keiner. Demnächst will Marder das eigentliche Interieur miteinbeziehen. Die Teilnehmer sollen üben, wie zu reagieren ist, wenn sie im Auto sitzen und einer ungewollt die Tür aufreißt. Auch Lehrling Sandro muss zu Demonstrationszwecken den Kopf hinhalten. Macht er gern. Krav Maga überzeugt ihn, weil es „mehr Techniken“ kenne als sein Ex-Sport, das Boxen.

Und am Ende gibt es Stress

Das Abschlussritual ist immer das gleiche. Marder nennt es „Stress“. Dafür dunkelt er die Halle vollständig ab, dreht Heavy Metal auf, lässt die Kursbesucher sich in 2:1-Situationen behaupten. Dann kreiselt er einzelne zehn Mal um die eigene Achse und lässt andere ihnen den Weg verstellen. Simone ging mal mit einem blauen Auge aus der Werkstatt. Susanne hat sich beim Training auch „schon tausend Flecken“ eingefahren. Aber mental bekam sie einen „Wahnsinns-Push“. Schickimicki ist halt woanders.

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Erstellt:
11.10.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 59sec
zuletzt aktualisiert: 11.10.2016, 01:00 Uhr

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