Bürgerbeteiligung per App geplant

Tübinger sollen mit dem Handy ihre Meinung sagen

Tübingen lässt eine Befragungs-App entwickeln und bekommt dafür einen ordentlichen Zuschuss vom Land.

27.09.2017

Von Sabine Lohr

Symbolbild: Schweizer / bahram7 - Fotolia.com

Symbolbild: Schweizer / bahram7 - Fotolia.com

„Die Demokratie muss dahin, wo die Leute sind. Und da die Meinungsbildung immer häufiger auf dem Handy stattfindet, muss die Demokratie eben auch dorthin: aufs Handy.“ So begründete Oberbürgermeister Boris Palmer die Entwicklung einer App, die die Stadt in Auftrag gibt. Mit dieser App sollen künftig die Einwohner Tübingens vor wichtigen Gemeinderatsentscheidungen nach ihrer Meinung gefragt werden. Schon im Februar beschloss der Gemeinderat die Entwicklung dieser App, am Montag stimmte der Verwaltungsausschuss des Gemeinderats nun der entsprechenden Satzung zu.

Anmeldung nur für Tübinger - per Zugangscode

Funktionieren soll das Ganze so: Jeder Einwohner kann sich die kostenlose App auf sein Smartphone laden. Wer keines hat, kann an einer Befragung auch schriftlich oder am heimischen PC teilnehmen. Bei einer Befragung bekommt jeder Einwohner ab 16 Jahren einen Zugangscode, mit dem er sich in der App anmeldet. Dort findet er auch Informationen zum Thema. Ob zusätzlich ein Diskussionsforum eingerichtet wird, muss noch geklärt werden – der Ausschuss war in dieser Frage gespalten. „In einem solchen Forum kotzt sich doch jeder aus, wie es ihm passt“, kritisierte etwa Ingeborg Höhne-Mack (SPD). Palmer hingegen glaubt, dass ein Forum unbedingt sein müsse: „Man kann heutzutage nicht mehr sagen, die Leute sollen sich informieren, aber nicht diskutieren.“ Die Moderation des Forums will Palmer in der Pressestelle der Stadt ansiedeln. „Die hat ja eine halbe Stelle für Online bekommen.“

Nach was gefragt wird, entscheidet der Gemeinderat

Der Zugangscode ist den Meldedaten zugeordnet, also Familienname, Vorname, Anschrift und Geburtsdatum. Zu der Verbindung von Meldedaten und Zugangscode hat niemand außer den Mitarbeitern der Statistikstelle Zugang. Die Verwaltung hätte lieber das so genannte Ordnungsmerkmal mit dem Zugangscode verknüpft. Das ist eine Nummer, die jedem Einwohner zugeordnet ist. Das Ordnungsmerkmal aber darf nicht zum Aufbau einer Datenbank verwendet werden, weshalb es für eine Bürgerbefragung ausscheidet. Zudem ermöglichen die Meldedaten eine Auswertung nach Alter und Geschlecht.

Zu welchen Themen die Bürger befragt werden, entscheidet der Gemeinderat. Der legt auch die genaue Fragestellung fest. Zwei Wochen vor der Befragung gibt es eine Informationsveranstaltung, bei der die unterschiedlichen Standpunkte erläutert werden. Und dass es überhaupt eine Befragung gibt, erfahren die Einwohner durch die Zeitung, übers Internet (Homepage und Facebook-Auftritt der Stadt) sowie durch die App selbst.

Umfrage

Bürgerbefragungs-App

Die Stadt Tübingen lässt eine App programmieren, mit der Bürger zu lokalpolitischen Themen befragt werden sollen. Alternativ soll die Teilnahme mit Browser oder schriftlich möglich sein. Was halten Sie davon?
39 %
Tolle Idee: Solch eine App würde ich sicher auf meinem Smartphone installieren.
49 %
Wozu eine App, wenn die Teilnahme auch über jeden Internet-Browser möglich ist?
12 %
Mit oder ohne App: Bei solchen Umfragen mache ich sowieso nicht mit.
341 abgegebene Stimmen

Das Land gibt einen Zuschuss von 72.000 Euro

Markus Vogt (Die Partei) regte an, statt einer App eine Browser-gestützte Befragung zu entwickeln. Denn eine App, die man nur ein- oder zweimal im Jahr nutze, würde sich niemand aufs Handy laden, glaubt er. Ulrich Narr, Leiter des Fachbereichs Kommunales, wies darauf hin, dass sich jeder, der an der Befragung teilnehmen wolle, registrieren müsse. Das gehe bei einer Browser-Lösung nicht. „Da müsste ich mich jedes Mal neu mit dem Zugangscode anmelden, ich glaube, da steigen dann viele aus.“

Ganz billig ist die Entwicklung der App nicht: Sie kostet rund 200 000 Euro. Dazu kommen noch jährlich 19 000 Euro für die Infoveranstaltungen und die Pflege der App. Die beiden Firmen Aaronprojects und Neongelb, die das Programm entwickeln sollen, beteiligen sich mit 85 000 Euro.

Und Palmer hatte gute Nachrichten: Das Land bezuschusst die App mit 72 000 Euro aus dem Programm „Städte und Gemeinden 4.0 – Future Communities“. Laut Palmer ist das die höchste Einzelförderung in diesem Programm. Für diesen Erfolg bekam der OB viele Glückwünsche vom Gremium.

Die Hacker von Syss prüfen die Sicherheit

Narr, der mit einem Zuschuss von 15 000 Euro gerechnet hatte, schlug vor, einen Teil des „gesparten“ Geldes gleich wieder auszugeben. Zum einen soll die Firma Syss die App auf ihre Sicherheit prüfen, was rund 13 000 Euro kostet. Zum anderen soll das Forum eingerichtet werden, was an die 17 000 Euro kostet für die Programmierung und die Einbindung in die App.

Künftig könnte die Stadt finanziell noch mehr von der App profitieren. Bisher nämlich gibt es eine derartige App nicht (Palmer: „Wir sind Pionierstadt.“). Deshalb hat die Stadt mit den beiden Firmen vereinbart, dass sie bei jedem weiteren Verkauf des Programms mit 15 Prozent am Verkaufspreis beteiligt wird. Narr: „Offenbar hat eine große Stadt bereits Interesse signalisiert. Kauft die die App, wären unsere Ausgaben schon fast wieder drin.“

Nächste Befragung noch konventionell

Bis zur nächsten Bürgerbefragung ist die App noch nicht fertig. Deshalb sollen 5000 durch das Zufallsprinzip ausgewählte Bürger schriftlich gefragt werden, wo sie weitere 10 Hektar Gewerbeflächen in Tübingen ausgewiesen haben wollen. Diese Befragung wird zur Zeit von der Verwaltung vorbereitet. Sie ist auch Thema im Planungsausschuss am morgigen Donnerstag, 28. September.

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Erstellt:
27.09.2017, 01:00 Uhr
Aktualisiert:
27.09.2017, 18:35 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 21sec
zuletzt aktualisiert: 27.09.2017, 18:35 Uhr

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dampfgeplauder 27.09.201716:37 Uhr

Tolle Idee, bin sehr dafür. Allerdings scheint mir die halbe Stelle in der Presseabteilung dafür viel zu wenig. Noch eine Idee: Wie wär´s denn, die Naldo-Fahrplan-App mit einer vollwertigen Bezahlfunktion aufzupimpen. Bisher muß man sich ja bei einem Subunternehmen der Deutschen Bahn registrieren, wenn man mit dem Handy nur ein einziges Busticket bezahlen will. Das ist datenschutzmüßig eine schlechte Lösung.

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