Angrapschen ist (k)ein Delikt

Tübinger Tanzdemo gegen Gewalt an Frauen und Kölner Pauschalisierungen

Der weltweite Aktionstag „One Billion Rising“ gegen Gewalt an Frauen und Mädchen brachte am Sonntagnachmittag in Tübingen zeitweise bis zu 200 Teilnehmer/innen auf die Straße. Die Protestierenden wandten sich auch gegen rassistische Hetze.

14.02.2016

Von Dorothee Hermann

Tübingen. Die Tanzdemo „One Billion Rising“ will in mehr als 200 Ländern ein Zeichen setzen gegen Gewalt an Frauen und Mädchen. Deshalb schrillten in der Tübinger Innenstadt am Nachmittag knallrote Trillerpfeifen. Vom Valentinstag umgewidmete rote Herzchen-Luftballons flatterten. Die fünf hiesigen Organisatorinnen arbeiten im Frauencafé Achtbar und im Frauenbuchladen Thalestris. Auf einem der Transparente hieß es: „Das Problem heißt Patriarchat: Überall! – Gegen die rassistische Vereinnahmung von Feminismus!“ Befeuernde Musik kam von Elke Voltz und Tanglefoot.

„Sexualisierte Gewalt und sexuelle Belästigungen sind keine neuen, sozusagen zugewanderten Phänomene“, betonte die städtische Gleichstellungs- und Integrationsbeauftragte Luzia Köberlein bei der Abschlusskundgebung kurz nach 16 Uhr auf dem Tübinger Marktplatz. „Frauen erleben Gewalt hauptsächlich im sozialen Nahraum, durch aktuelle oder ehemalige Beziehungspartner, Freunde, Nachbarn oder Bekannte.“ Der Staat habe die Aufgabe, dafür zu sorgen, „dass Taten sanktioniert und Täter bestraft werden“, sagte Köberlein. Er müsse Sicherheit im öffentlichen Raum gewährleisten. „Es muss klar sein, dass sexuelle Übergriffe und Belästigungen von Frauen – seien es einheimische oder zugewanderte oder geflüchtete Frauen – nicht geduldet werden.“ Genausowenig dürfe geduldet werden, „dass pauschal ganze Gruppen von Menschen vorverurteilt und unter Generalverdacht gestellt werden“, sagte Köberlein mit Bezug auf die Übergriffe auf Frauen an Silvester in Köln und anderen Städten. „Es geht um beides: um den Kampf gegen Sexismus wie um den Kampf gegen Rassismus.“

Die Übergriffe hätten sexualisierte Gewalt wie selten zuvor in den öffentlichen Blick gerückt: Doch hauptsächlich sei skandalisiert worden, „dass als Täter insbesondere junge Männer aus dem nordafrikanischen Raum identifiziert wurden“, sagte sie. „Junge Männer, die hier wie dort, wo sie herkommen, kaum Perspektiven auf Arbeit, Wohnraum und Familiengründung haben.“ Das sei keine Entschuldigung für frauenverachtendes Verhalten, das auf keinen Fall akzeptiert werden dürfe, so Köberlein: „Täter müssen Verantwortung übernehmen.“

Die Vorkommnisse in Köln hätten leider nicht die Debatte um Gewalt gegen Frauen intensiviert, bedauerte sie, sondern jene um „die Senkung der Abschiebehindernisse“.

Das geltende Recht schütze die sexuelle Selbstbestimmung nur unzureichend, kritisierte Köberlein: „Überrumpelung und Angrapschen von Brust oder Po, Herunterreißen von Kleidung werden nicht als Sexualdelikte bewertet und bestraft.“ Vergewaltigung werde strafrechtlich nur dann als solche gewertet, wenn das Opfer beweisen könne, dass es sich mit allen Leibeskräften zur Wehr gesetzt hat. „Sexualisierte Gewalt darf nicht nur dann thematisiert werden, wenn die Täter die vermeintlich Anderen sind.“

Auch Köberleins Amts-Vorvorgängerin Edda Rosenfeld hatte sich der Demo angeschlossen: Alltägliche Gewalt gegen Frauen und Mädchen sei immer noch viel zu selbstverständlich: „Wir müssen immer wieder den politischen Druck erhöhen und zeigen, dass uns das nicht egal ist.“ Rosenfeld fand es toll, dass „One Billion Rising“ auch Männer anziehe. Gerade „nach Köln“ ist es ihr sehr wichtig, „die Verkoppelung sexualisierter Gewalt und Rassismus“ aufzubrechen. Zu kritisieren sei beides.

Von der Karlstraße bis zum Marktplatz wirbelte am gestrigen Sonntagnachmittag die Frauenrechts-Tanzdemo „One Billion Rising“ auch durch Tübingen.Bild: Franke

Von der Karlstraße bis zum Marktplatz wirbelte am gestrigen Sonntagnachmittag die Frauenrechts-Tanzdemo „One Billion Rising“ auch durch Tübingen.Bild: Franke

Mehr Beleuchtung im Alten Botanischen Garten

Bei der Frauenrechts-Tanzdemo „One Billion Rising“ ging es auch um mehr Sicherheit und Lebensqualität für Frauen in Tübingen. Beim Gemeindehaus Lamm klemmten Demonstrantinnen ihre Vorschläge an eine Wäscheleine: „Mehr Beleuchtung und mehr Polizeipräsenz im Alten Botanischen Garten“, hieß es da. Oder: „Schulungen für die Polizei zum Thema Gewalt an Frauen und auch für Security-Firmen, die in Diskotheken arbeiten.“ Ein Frauentaxi wurde ebenso vermisst wie „Mehr Beleuchtung an der ersten Steinlachbrücke“. Die Ausbildung von Lehrern solle mehr für Homosexualität und Transsexualität sensibilisieren. Entsprechende Projekte an Schulen sollten gefördert werden.