Kommentar

Tübingen ist keine Fahrradstadt

„Rü-pel-ra-dler!“ Der ältere Herr, der eben direkt vor dem TAGBLATT auf die Straße getreten war, obwohl die Fußgängerampel Rot zeigte, blieb mitten auf der Straße stehen und schimpfte einem Radfahrer hinterher. Der hatte den Mann nur deshalb nicht umgefahren, weil er in letzter Sekunde einen gewagten Schlenker hingelegt hatte. Szenenwechsel, ein paar hundert Meter weiter Richtung Süden. Auf der Blauen Brücke radelt eine Frau stadtauswärts – die Fußgänger, die zu dritt nebeneinander hergehen und mit denen sie sich den Weg teilen muss, erschrecken, als die Frau sie überholt: „Rüpelradler!“

24.08.2016

Klar, Idioten gibt es überall, auch unter Radfahrern. Sie ignorieren Ampeln, fahren durch die Fußgängerzone, sind generell zu schnell unterwegs, schneiden Fußgängern den Weg ab und haben kein Licht. Aber nicht jeder Radfahrer, der einem Fußgänger oder Autofahrer in die Quere kommt, ist ein Rüpelradler. Manchmal bleibt den Radfahrern gar nichts anderes übrig, als sich irgendwie durchzusetzen – vor allem gegen Fußgänger, die verträumt auf dem Radstreifen der Steinlachunterführung latschen, sich nur auf ihr Gehör verlassend Straßen queren oder die Karlstraße ganz und gar für sich beanspruchen.

Sich auf dem Fahrrad gegen Autofahrer durchzusetzen dagegen ist lebensgefährlich. Also heißt es scharf abbremsen, wenn wieder mal einer abbiegt, ohne zu gucken, oder lieber einen Radler von seinem Streifen drängt, als mal kurz sehr langsam zu fahren, weil Gegenverkehr kommt. Besonders unbeliebt bei Radfahrern sind Busse. Die überholen in der Steinlachallee auch dann, wenn der Radfahrer eigentlich in die Straßenmitte fahren müsste, weil an dieser Stelle die Straße künstlich verengt wurde, um den Verkehr zu beruhigen. Egal, ist ja nur ein Radfahrer.

Nun ist es nicht so, dass die Stadtverwaltung nichts getan hätte für Fahrradfahrer. Die Karlstraße, wo die Radler bis vor wenigen Jahren noch zwischen Fußweg und parkenden Autos fahren mussten, ist zur Fahrradstraße geworden. Auch die Fürststraße wurde zu einer umgebaut. Leider aber ist sie meistens unbevölkert, denn die Steinlachallee ist eben der kürzere Weg – wenn auch der gefährlichere. Die Kelternstraße hat einen Radstreifen bekommen. Und demnächst werden auch auf der Blauen Brücke die Radfahrer auf die Straße gelotst.

Stück für Stück und Jahr für Jahr gibt es kleinere oder größere Verbesserungen. Mal wird hier etwas gemacht, mal dort. Wo aber bleibt der große Wurf? Wann endlich wird Tübingen zur Stadt für Radfahrer? Werden die ungefährlicher, einfacher und klarer durch die Stadt geleitet, gibt es sicherlich auch weniger Rüpelradler. Sabine Lohr

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Erstellt:
24.08.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 59sec
zuletzt aktualisiert: 24.08.2016, 01:00 Uhr

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Johannes S. 25.08.201607:18 Uhr

Die Stadt hat wahrlich viel getan, vor allem mit dem Farbeimer: Hier ein Schutzstreifen zwischen LKW-Reifen und Bordsteinkante, dort ein paar Meter Radweg. Was fehlt, sind durchgängige Verbindungen. Raum wäre vorhanden: Zum Beispiel könnte das Zentrum mit den Schulen ideal an Lustnau angebunden werden, wenn man sich dazu durchringen würde, die Laternengaragen aus der Gartenstraße zu verbannen - auf jedem dortigen Grundstück ist ggf. mit Investitionen Platz für das Auto; danach wäre genügend Platz für einen durchgängigen, echten und realen Radweg in angemessener Breite von der Alten Weberei bis zur Neckarbrücke!

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