Prozess

Tierschützer verurteilt

Auch in der Berufung urteilte das Gericht: Nothilfe für leidende Tiere in der Putenmast ist keine Rechtfertigung für eine Straftat.

26.05.2017

Von st

Am Dienstag fiel das Urteil gegen drei Tübinger Tierschützer in der Berufungsverhandlung vor dem Heilbronner Landgericht. Sie waren in der Nacht zum 11. Mai 2015 in einen Putenmastbetrieb eingedrungen, weil sie in den Ställen schwere Verstöße gegen das Tierschutzgesetz vermuteten und diese filmen wollten. Der Landwirt eilte herbei, es folgte ein Handgemenge mit Reizgaseinsatz, Stockschlägen und Verfolgungsjagd. Schließlich nahm die Polizei die drei Tierschützer in Gewahrsam.

Sieben Monate und zwei Wochen Haft auf Bewährung für den Hauptangeklagten wegen Hausfriedensbruch in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung: So lautete das Urteil von Richterin Claudia Oestreich. Staatsanwältin Mirjam Weisenburger hatte in ihrem Plädoyer sogar elf Monate gefordert. Der Landwirt habe das Recht gehabt, den Tierschützer mit einem Stock zu schlagen, weil er sich bedroht gefühlt habe, so Oestreich in ihrer Urteilsbegründung. Zudem könne der Hauptangeklagte von Glück reden, dass sich der Landwirt beim Einsatz des Reizgases reflexartig wegdrehte und keine schwereren Verletzungen erlitt. Dann wäre das Strafmaß wohl deutlich höher ausgefallen.

Die Richterin äußerte Sympathie für das Engagement der Tierschützer. Sie selbst esse kein Fleisch, das aus Massentierhaltungen stamme. Allerdings dürfe man politische Überzeugungen nicht mit Straftaten durchsetzen. Erschwerend komme hinzu, dass die Tierschützer im Prozessverlauf kein Schuldeingeständnis vorgebracht hätten und in der Tatnacht maskiert gewesen seien.

Der zweite männliche Angeklagte wurde wegen Hausfriedensbruchs zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen à 10 Euro verurteilt. Das Verfahren gegen die Mitangeklagte wurde indes gegen Zahlung einer geringen Geldauflage eingestellt.

„Das Urteil ist im Hinblick auf die Verurteilung zu einer Strafe wegen Hausfriedensbruchs nach unserer Auffassung unrichtig. Das Gesetz lässt Nothilfe für Tiere zu“, sagt Eisenhart von Loeper, Vorsitzender der Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz. Die Stiftung hatte beim Prozess die beiden Mitangeklagten finanziell unterstützt.

Die Angeklagten machten im Verlauf der Verhandlung mehrfach deutlich, dass es aus ihrer Sicht keine andere Möglichkeit gebe, auf tierquälerische Zustände in der Massentierhaltung aufmerksam zu machen, außer derartige Verstöße zu filmen und damit öffentlichen Druck aufzubauen.

Das Verfahren soll nun, soweit es um den von der Erna-Graff-Stiftung unterstützten Nebenangeklagten geht, weitergehen. „Er kann, wenn er das will, mit unserer weiteren Unterstützung in die Revision und nötigenfalls bis zum Bundesverfassungsgericht rechnen“, kündigt Eisenhart von Loeper an. „Wir brauchen eine höchstrichterliche Klärung im Sinne des Tierschutzes. Der Tierschutz um der Tiere willen und die Gewissensfreiheit der Betroffenen haben durch Artikel 20a des Grundgesetzes höchsten Verfassungsrang. Das muss endlich zur Geltung kommen.“

Ergänzend fügt von Loeper hinzu: „Dieser Prozess hat Präzedenzcharakter: Wir sind es den Tieren schuldig, ihnen gegen jede Qual die zumutbare Nothilfe zu leisten. Anzuklagen wären genau genommen durch die Staatsanwaltschaft statt der Aktivisten gegen qualvolle Putenmast die Verantwortlichen der Vollzugsbehörden, die durch ihr stetiges staatliches Versagen gesetzwidrige Tierqual zulassen.“

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Prozessparteien haben eine Woche Zeit, in Revision zu gehen. Die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Die Hoffnung der Erna-Graff-Stiftung, dass das Landgericht Heilbronn darin als erstes deutsches Gericht grundsätzlich ein Eindringen in fremde Ställe zur Dokumentation tierschutzwidriger Zustände für prinzipiell rechtfertigungsfähig hält, zerstreute Claudia Oestreich gestern. Das sei „Quatsch“, so die Richterin. Gottfried Mahling

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Erstellt:
26.05.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 38sec
zuletzt aktualisiert: 26.05.2017, 01:00 Uhr

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