Vom Abstellgleis geholt

Tag des offenen Denkmals im ehemaligen Tübinger Bahnbetriebswerk

Das ehemalige Eisenbahnbetriebswerk öffnete seine staubigen Pforten. Die Reparaturhalle aus dem Jahr 1911 wird wohl doch nicht abgerissen.

10.09.2017

Von Monica Brana

Wie einem Science-Fiction-Film entsprungen wirken die Eisenfachwerkgebäude an der Europastraße, lichtdurchflutet und unaufgeräumt. Der Geruch nach abgestandenem Öl weckte am Tag des offenen Denkmals zugleich Nostalgiegefühle bei den zwei Besuchergruppen, die das dem Festplatz gegenüber gelegene ehemalige Eisenbahnbetriebswerk in der Europastraße besichtigten.

„Schließen Sie zügig auf!“ Der Tübinger Kultur- und Medienwissenschaftler Ulrich Hägele machte den insgesamt über 100 Interessenten Dampf: Sie konnten sich nicht sattsehen am einzig erhaltenen Tübinger Weltkriegshochbunker. Nach der Besichtigung des kleinen Gebäudes zeigte Hägele gemeinsam mit Elektrotechnikmeister Frank Noack von der örtlichen Werksleitung in anderthalb Stunden noch die Wartungshallen, die Schiebeanlage, den Wasserturm und die Heizanlage. Der unterirdische ABC-Schutzbunker, der sich außerdem auf dem Gelände befindet, blieb unzugänglich.

Im Jahr 1911 wurde die Eisenbahnanlage fertig und ersetzte das frühere Betriebswerk, an dessen Stelle heute die B28-Brücke steht. Das Werk habe repräsentativ wirken sollen, daher rührten die architektonischen Anleihen bei Renaissance und Manierismus, wie sie unter anderem auch bei älteren Bauten auf dem Österberg zu sehen sind, erklärte Hägele vor dem Verwaltungstrakt.

Auf dem Weg in die historische Reparaturhalle führten Hägele und Noack die Besucher in die vor 40 Jahren erbaute „neue Halle“. Dort werkelten zwei Fahrzeugschlosser mit Lokführer Jan Hartwig an einem Schienenbus-Oldtimer, Baujahr 1959. Die Kinder durften einen Blick ins Innere werfen, während die Erwachsenen erfuhren, dass die Fahrzeuge bis in die 90er-Jahre im regulären Einsatz waren, man die Schienenbusse jetzt aber chartern kann. Eine nach dem letzten Weltkrieg gebaute Verschiebebühne erlaubte es bis vor drei Jahren, wartungsbedürftige Loks durch eines von sieben Toren in die nebenan liegende Reparatur- und Ausbesserungshalle aus dem Jahr 1911 zu fahren. Dort führen Gleise über Wartungsgruben, von wo aus die Arbeiter auch an die Unterseite der Loks herankamen. Trotz zunächst trüben Wetters war das mit Ziegelsteinen gemauerte Eisenfachwerkgebäude gut ausgeleuchtet. „Es war wichtig, dass man unter schwierigen Bedingungen arbeiten konnte“, sagte Hägele unter den genieteten und geschraubten Eisenstreben, die von einem Glasdach gekrönt sind. Den Boden bedecken Holzklötze, die einerseits zur Wärmeisolation dienten, andererseits herabfallende Gegenstände abfederten. „Offiziell darf man maximal eine Stunde lang herein“, wies Noack auf die im Holz angereicherten Schadstoffe des letzten Jahrhunderts hin. Die Besucher holten tief Luft und gingen weiter in den anschließenden Heiztrakt, wo drei Heizkessel an einem 80 000-Liter-Dieselölfass hängen. Die Dampfheizung fachte über dicke Röhren die in den Hallen verteilten Radiatoren an.

Der „von außen kaschierte Wasserturm“ sei „ein Industriedenkmal ersten Ranges“, sagte Hägele einige Schritte weiter. Ins Erdgeschoss des Wasserturmgebäudes passten die Besucher gerade eben hinein und blickten hinauf auf die verrotteten Dielen, die ihnen einen Aufstieg zum Wassertank verwehrten. Umgeben von alten Schläuchen und undefinierbarem Unrat aus den vergangenen Dekaden prangte der zentrale Zylinder aus handvernieteten Stahlplatten, der die Steigrohre ummantelt, die unter das Dach führen. Mit den 30 Kubikmetern, die sich aus dem Mühlbach speisten, konnten sechs bis acht Loks versorgt werden. Die meisten anderen Wassertürme dieser Art wurden in den 50er-Jahren abgerissen, sagte Hägele.

Die historische Wartungshalle soll nun, anders als seit Jahren geplant, doch nicht abgerissen werden, denn die Deutsche Bahn ist nicht der künftige Streckenbetreiber zwischen Stuttgart und Tübingen. Das Gebäude könnte folglich umgenutzt werden. Hägele schwärmte, die alte Reparaturhalle sei nach einer gründlichen Bodensanierung ein idealer Ort für größere kulturelle Veranstaltungen.