Dokumentation

Stellungnahme von Prof. Nikos Logothetis zu den Primaten-Versuchen am Tübinger Max-Planck-Institut

In der anhaltenden Diskussion um die umstrittenen Tübinger Affenversuche dokumentier das TAGBLATT eine Stellungnahme des MPI-Direktors Nikos Logothetis. Weitere Artikel und Kommentare haben wir in unserem Dossier zusammengefasst.

26.12.2016

Von Nikos Logothetis

Über die Notwendigkeit von Tierexperimenten, vor allem mit den uns Menschen sehr nahestehenden Primaten, muss in der Gesellschaft kritisch diskutiert werden. Hier brauchen wir eine differenzierte Diskussion, um auf dieser aufbauend verantwortliche Entscheidungen darüber zu treffen, was möglich, gewollt und dann auch gesetzlich zulässig ist. Am MPI in Tübingen und in der MPG insgesamt haben wir diese Diskussion immer wieder geführt, in der Gesellschaft insgesamt vermutlich zu wenig. Für diese Diskussion braucht es differenzierte Darstellungen, Pro- und Contra-Argumente, wertende Abwägungen und schließlich gesetzliche Entscheidungen, die dann in gesellschaftliche Normen gefasst werden. Durch Tierschutzbeauftragte, Genehmigungsbehörden, umfassende Dokumentationspflichten, Qualifikationsvoraussetzungen und Kontrollen entsteht dann der Rahmen, in dem sich Forschung bewegen kann und muss. Bei allem bleibt aber auch die eigene Gewissensentscheidung, die wir uns als Forscher nie leicht gemacht haben und nie leicht machen werden.

Aus der Kenntnis vieler Labore und deren experimentellem Vorgehen, dem Wissen darüber, dass die Qualität der Forschungsergebnisse vor allem auch von der Befindlichkeit der Tiere abhängt, war es von Beginn meiner Tätigkeit in Tübingen an mein Ziel, eine optimale Tierhaltung ebenso zu gewährleisten wie eine geringstmögliche Belastung der Tiere durch Experimente und Implantate. Qualifizierte Ingenieure in der eigenen Feinmechaniker Werkstatt des MPI haben daher in den vergangenen 20 Jahren die Implantat Techniken bezogen auf Materialverträglichkeiten und Invasionsgrad deutlich verbessert, so dass vom MPI weltweit Impulse ausgegangen sind, um auch an anderen Forschungsinstituten Experimente weniger belastend, verträglicher und mit verbesserten Methoden durchzuführen. Dabei wurden sowohl bezogen auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Verständnis von Funktion und Arbeitsweise unseres Gehirns, als auch bezogen auf die Standards und technischen Möglichkeiten bei der Durchführung von Experimenten in Tübingen Pionierarbeit geleistet, die heute vorbildhaft für andere Institute und Forschungseinrichtungen weltweit ist. Aus dieser Arbeit sind in 20 Jahren 32 erfolgreiche Professoren hervorgegangen, die nun weltweit an den besten Universitäten ihren wissenschaftlichen Beitrag leisten.

Aktuell wird diese Arbeit mit verkürzten und einseitigen Darstellungen immer wieder in Misskredit gebracht. Falsch- und Halbinformationen rücken die Arbeit des Instituts, der Forscher und insbesondere mich als Verantwortlichen immer wieder in ein schlechtes Licht. Einige Beispiele reichen, um dies zu illustrieren.

Dass Affen nach der Käfigreinigung Gitterstäbe und Wände ablecken, kommt immer wieder vor und kann sich bei manchen Tieren zur Gewohnheit entwickeln. Gleiches gilt für das Trinken von Urin. Die Wahrscheinlichkeit, dass Versuchstiere ein solches Verhalten zeigen steigt, wenn das Wasserangebot eingeschränkt wird. Dabei werden die Tiere nicht unter existentiellem Durst gehalten, wie das immer wieder dargestellt wird. Es wird für eine befristete Zeit eine vollständige Sättigung des Flüssigkeitsbedarfs unterbunden, um durch Belohnungen während der Experimentdurchführung die aktive Mitarbeit der Versuchstiere sicher zu stellen. Diese verkürzt die Zeiten, die für Experimentdurchläufe erforderlich sind. Da schon kleine Mengen an Flüssigkeit hier einen großen Verhaltensunterschied erzeugen können, müssen Tierpfleger sehr genau auf die aufgenommenen Flüssigkeitsmengen achten. Eine besondere Herausforderung stellt dies dar, wenn Tiere gemeinsam in Käfigen gehalten werden. Untergrenzen dürfen zum Wohle des Tieres auf keinen Fall unterschritten werden und zu viel Flüssigkeit sorgt für ein Ansteigen der Belastung durch die Verzögerungen in der Experimentdurchführung. Wenn in internen Papieren des Institutes von einem „Urin drinking problem“ gesprochen wird, geht es um diese genaue Justierung für qualifizierte Experimentdurchläufe und vor allem auch darum, das Wohl des Tieres sicher zu stellen. Stellt man dies nun in den Kontext von existentiellem Durst, den die Versuchstiere angeblich erleiden und der dann dazu führen soll, dass selbst der eigene Urin aus purer Not heraus getrunken wird, entsteht natürlich ein völlig anderes Bild: Der Forscher als Monster, dessen Anliegen dann angeblich das Quälen der Tiere sein soll. Was für eine Unterstellung angesichts der Tatsache, dass wir nur mit entspannten Tieren, die sich wohl fühlen, taugliche Ergebnisse bei unserer Forschung ermitteln können.

Ein zweites Beispiel für solche populistischen Verkürzungen sind die Aussagen über die Beendigung der Experimente. Meine Entscheidung, nicht mehr mit Primaten zu forschen, habe ich dem Regierungspräsidium im April 2015 und der Öffentlichkeit im Mai 2015 mitgeteilt. Ziel war es, die Experimente bis zum Ende des Jahres 2016 zu beenden. Die von mir beantragten Experimente sind inzwischen komplett beendet. Auch dies hätte man durch Nachfragen beim Regierungspräsidium in Erfahrung bringen können. In drei Fällen benötigen Forscher am MPI noch einige Monate, um die Experimente zu Ende zu führen. In einem dieser Fälle musste dazu ein formal notwendiger Neuantrag gestellt werden, um Experimente aus einem vorangegangenen Projekt vervollständigen zu können. In den zwei weiteren Fällen sind die Experimente ebenso noch nicht beendet. Es geht also nicht um neue Versuche, wie dies in der Öffentlichkeit dargestellt wurde, sondern um die notwendige Vervollständigung von Versuchen, deren Durchführung etwas länger als erwartet gedauert hat. Und wer mit Tieren arbeitet, kann einschätzen, dass eben bei dieser Arbeit nicht immer alles nach Plan durchgeführt werden kann und es immer möglich ist, dass es zu solchen Verzögerungen kommt. Versuche dann vorzeitig zu beenden würde bedeuten, dass eine Experimentreihe weitgehend nutzlos und damit auch deren Sinn fraglich würde. Eben darum sieht der Gesetzgeber vor, dass beantragte Experimente auch abgeschlossen werden.

Ein weiteres Beispiel ist das in einem Videoausschnitt gezeigte, angeblich neurotische Verhalten eines Makaken, der am vorderen Käfigrand auf und ab läuft. Jetzt sollte man als Hintergrund wissen, dass patrouillierende Affen auch in freier Wildbahn keine Seltenheit sind. Bisher gibt es nur Vermutungen über die tatsächlichen Gründe für dieses Verhalten. Es korrespondiert unserer Beobachtung nach mit Situationen erhöhter Aufmerksamkeit. Also dann, wenn z. B. die Fütterung bevorsteht, wenn Unruhe vor den Käfigen herrscht oder wenn ungewohnte Situationen auftreten. Auch direkter Blickkontakt, laute Geräusche oder hektisches Verhalten können dieses Verhalten induzieren. Wir haben nach den Anschuldigungen unsere Beobachtungen intensiviert und konnten dabei unsere Vermutungen verifizieren. Weiter sollte man wissen, dass man echtes neurotisches Verhalten durch Futtergabe nicht stoppen kann. Eben dies war aber bei dem gezeigten Affen möglich. Jeder kennt es, dass Tiere, die in zu kleinen Käfigen gehalten werden, einen sogenannten Hospitalismus entwickeln und solche neurotischen Verhaltensweisen zeigen. Da wir aber mit derart hospitalisierten und neurotischen Tieren nicht arbeiten könnten, würde jeder Tierpfleger sofort reagieren, wenn es sich bei einem unserer Tiere um ein dauerhaftes und nicht situationsgebundenes Verhalten handeln würde.

Und schließlich gehört auch die Entnahme von Organen und in unserem Fall von Gehirnen zur wissenschaftlichen Forschung, die in einem gesetzlich festgelegten Rahmen erfolgt. Das Sezieren eines Gehirns ist eben am lebenden Tier nicht möglich. Dies aber mit entsprechender Geräuschuntermalung und mit den Worten: „Das Leben dieses Affen endet in einem blauen Müllsack als Nummer CM27 … welche Versuche bis dahin an ihm gemacht worden sind, wissen wir nicht“ zu kommentieren, dient aus unserer Sicht lediglich einer hochgradigen Emotionalisierung. Dies vor allem vor dem Hintergrund, da der komplette Datenbestand des Institutes illegal kopiert wurde und daher auch die Information zu diesem Tier ganz sicher vorgelegen haben.

Mit Fakten, die um wesentliche Aspekte und Informationen verkürzt werden, wird so der Eindruck erweckt, dass Forscher die Öffentlichkeit absichtsvoll täuschen. Das Vertrauen in eine solide Forschungsarbeit wird zerstört und der Grundlagenforschung die Basis entzogen. Es ist dann wenig verwunderlich, wenn Experimente künftig in Ländern durchgeführt werden, in denen es eben keine oder deutlich weniger Kontrollen und gesetzliche Regelungen gibt. Bereits heute werden komplette Experimentreihen in solche Länder verlagert und die Ergebnisse in Form von Computeranimationen vorgestellt, so dass sich weder Grundlagenforscher noch Anwendungsforscher über Tierbelastungen Gedanken machen müssen. Die Erhebung der Daten wird in andere Länder delegiert und die Verantwortung für deren Durchführung abgeschoben auf die Experimentatoren in diesen Ländern. Ziel sollte sein, weltweit einheitliche Standards für die Durchführung von Experimenten und für den Tierschutz zu erreichen, so dass notwendige Experimente unter gleichen Bedingungen stattfinden können.

Wer den medizinischen Fortschritt will, wird auf Experimente nicht gänzlich verzichten können. Durch medizinischen Fortschritt hat sich unsere Lebenserwartung deutlich erhöht. Wir können heute bei vielen Krankheiten helfen und in der Gesellschaft werden solche Fortschritte bejaht und genutzt. Wer aber dazu ja sagt, kann nicht nein sagen zu den Voraussetzungen, die es braucht, um solche Fortschritte zu ermöglichen. Einerseits reagieren die Menschen begeistert, wenn es in naher Zukunft möglich wird, Querschnittsgelähmten das Laufen wieder zu ermöglichen, andererseits sind dazu Experimente unumgänglich (https://www.ted.com/talks/gregoire_courtine_the_paralyzed_rat_that_walked#t-114507). Und die Voraussetzungen für solche Fortschritte werden von der Grundlagenforschung geschaffen, die ein Verständnis der Zusammenhänge ermöglicht, um darauf aufbauend in der Anwendungsforschung Hilfsmöglichkeiten zu entwickeln und schließlich in der medizinischen Anwendung einzusetzen.

Für einen gesellschaftlichen Diskurs darüber, was wir anstreben, was wir ermöglichen wollen und was wir auf diesem Weg zulassen oder nicht zulassen wollen braucht es differenzierte Argumente und ethische Abwägungen und keine Agitationen, undifferenzierte moralische Vorverurteilungen, Verleugnung von Zusammenhängen, Vereinfachungen und Verkürzungen.

Dazu ein noch ganz aktuelles Beispiel zu den jüngsten Demonstrationen vom Wochenende in Tübingen. Im Tagblatt wurde dazu berichtet: „Beim nachgestellten Tierversuch auf dem Marktplatz wurden die Schreie immer lauter, während der „Affe“ im Glaskasten fixiert wurde und die beiden „Ärzte“ sich an ihm zu schaffen machten. Auf dem Platz war es sonst totenstill, nur die Schreie waren zu hören, minutenlang“. So funktioniert das mit den Bildern und den Emotionen. Nur zur Aufklärung: Am Institut hat es bei unseren Experimenten vor Schmerz schreiende Affen noch nie gegeben. Wir brauchen Tiere, denen es gut geht, die Reaktionen zeigen, die mitmachen und engagiert sind.