Große Sache im Baggersee

Stefan Hecht fand im Neckartal den Backenzahn eines Mammuts oder Waldelefanten

Der Tübinger Biologielehrer Stefan Hecht fand im Baggersee Bischoff im Neckartal kürzlich einen gigantischen Zahn. Es ist entweder der Backenzahn eines Mammuts oder aber der eines Europäischen Waldelefanten. Das Tier lebte vor mindestens 10 000 und vielleicht sogar vor über 33 000 Jahren.

28.05.2016

Von Hete Henning

Als er das Ding im Baggersee liegen sah, dachte Stefan Hecht zunächst an die Sohle eines alten Stiefels. Sein Fundstück entpuppte sich aber sehr schnell als der Backenzahn eines großen Rüsseltiers. Im Vordergrund ist die 15 Zentimeter lange Kaufläche. Die breitere Seite (auf dem Bild hinten) ist der Wurzelbereich. Bild: Hecht

Als er das Ding im Baggersee liegen sah, dachte Stefan Hecht zunächst an die Sohle eines alten Stiefels. Sein Fundstück entpuppte sich aber sehr schnell als der Backenzahn eines großen Rüsseltiers. Im Vordergrund ist die 15 Zentimeter lange Kaufläche. Die breitere Seite (auf dem Bild hinten) ist der Wurzelbereich. Bild: Hecht

Rottenburg. Als Stefan Hecht am 29. April einen Streifzug durchs Neckartal bei Rottenburg machte, wollte er eigentlich Vögel beobachten. Weil das am Baggersee Bischoff besonders gut geht, holte er sich die Erlaubnis eines Baggerführers, das Gelände zu betreten. Als er so die Wasseroberfläche absuchte, sah der 45-Jährige nicht weit vom Ufer entfernt etwas, was er zuerst für eine Stiefelsohle hielt. Neugierig geworden, zog er das Ding aus dem Wasser – und hielt einen sehr großen Backenzahn in den Händen. Was wie das Profil eines Gummistiefels ausgesehen hatte, war der Wurzelbereich des Zahns. Die Kaufläche war allein 15 Zentimeter lang, die Wurzelseite maß etwa 20 Zentimeter.

Weil Biologielehrer Hecht so etwas schon in Naturkundemuseen und Büchern gesehen hatte, tippte er sogleich auf einen Mammutzahn. Um genaueres zu erfahren und um der Wissenschaft einen Gefallen zu tun, überließ er den Zahn dem Paläontologischen Museum in Tübingen zur weiteren Untersuchung.

Ingmar Werneburg, der Kurator der Paläontologischen Sammlung, verpasste dem Zahn zunächst eine Inventarnummer: GPIT/MA/10022. Dann legte er ihn auf die Waage und ermittelte ein stolzes Gewicht von 2208,9 Gramm. Es handle sich, teilte Werneburg mit, „vermutlich um den linken Unterkieferzahn eines Waldelefanten“. Dafür sprächen die seitlich gut sichtbaren Lamellen. Zudem sei es wahrscheinlich der Zahn eines Jungtiers, denn der Zahn sei noch nicht stark abgewetzt. Das wiederum mache jedoch eine genaue Artbestimmung schwierig. Deshalb stelle er „hinter Waldelefant ein Fragezeichen“.

Artenbestimmung

mit Fragezeichen

Mit Waldelefant meint der Paläontologe den Europäischen Waldelefanten (Elephas antiquus), der nicht mit dem heutigen afrikanischen Waldelefanten zu verwechseln ist. Elephas antiquus lebte vor 33 000 bis 900 000 Jahren in Vorderasien, aber auch in Mittel-, Ost und Südeuropa. Besonders wohl fühlte er sich in parkähnlichen Landschaften und Laubwäldern bei mediterranem Klima. Das herrschte beispielsweise während der Eem-Warmzeit (der Periode zwischen der Riss- und der Würm- eiszeit) vor 126 000 bis 115 000 Jahren auch in hiesigen Breiten: Damals war es nördlich der Alpen durchschnittlich 3 Grad wärmer als heute. So wurden Backenzähne der bis zu 4,2 Meter großen Tiere in einer Kiesgrube bei Darmstadt ebenso wie in Heilbronn und auch so weit nördlich wie Verden/Aller gefunden.

Aus den Baggerseen im Neckartal zwischen Rottenburg und Tübingen wurden dagegen in der Vergangenheit vor allem die Backenzähne von Mammuts zutage gefördert. So entdeckte ein Junge aus Hirschau vor drei Jahren das Bruchstück eines Mammutzahns beim Spielen am Hirschauer Baggersee. Der Tübinger Paläontologie Philipe Havlik datierte das Stück damals auf 10 000 bis 20 000 Jahre. In Horb wurde beim Bau der Bildechinger Steige 1932/33 ein kompletter Mammutschädel mitsamt Stoß- und Backenzähnen ausgegraben. Das „Horber Mammut“ ist in der Paläontologischen Sammlung der Uni Tübingen in der Sigwartstraße zu sehen. Knochen der ausgestorbenen Rüsseltiere sind seltener – Knochen ist wesentlich empfindlicher als der harte Zahnschmelz.

Der Zahn, den Stefan Hecht fand, lag im groben Kies des Baggersees. Dort jetzt nach weiteren Zähnen oder gar Skelettteilen zu suchen, sei sinnlos, sagt er. „Die Fundstelle ist schon weg, da wird fleißig abgebaut.“ Außerdem ist der ganze Bischoff-See in Privatbesitz und das Betreten des Geländes ohne ausdrückliche Erlaubnis verboten. Im südlichen Bereich ist ein Drittel des Sees als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Privatbild

Stefan Hecht

Stefan Hecht

Elefantenzähne wachsen horizontal von hinten nach

Das Gebiss der Elefanten wie auch der ausgestorbenen Mammuts und Waldelefanten weist einige Besonderheiten auf.

Die oberen Schneidezähne sind zu Stoßzähnen umgewandelt, die die Tiere als Werkzeug benutzen. Ihre Nahrung zermahlen sie mit ihren sehr großen Backenzähnen. Von denen haben die Rüsseltiere im Lauf ihres Lebens maximal 24 Stück: jeweils sechs pro Kieferhälfte. In Benutzung ist pro Kieferhälfte aber immer nur einer zur Zeit. Ist dieser Zeit nach einigen Jahren abgenutzt, stirbt er ab und fällt aus und wird durch einen weiter hinten im Kiefer nachgewachsenen und langsam nach vorne gewanderten Zahn ersetzt. Zoologen sprechen bei dieser Form der Zahnerneuerung vom horizontalen Zahnwechsel. Wenn ein Elefant in freier Wildbahn seine 24 Backenzähne verschlissen hat und nicht mehr kauen kann, muss er verhungern.

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Erstellt:
28.05.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 04sec
zuletzt aktualisiert: 28.05.2016, 01:00 Uhr

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