Bau-Offensive für Flüchtlinge

Stadtverwaltung präsentierte rund 30 Standorte für Anschlussunterkünfte

In den kommenden zwei Jahren muss die Stadt Tübingen – so die Prognose der Verwaltung – für rund 2000 Flüchtlinge Wohnraum schaffen. Gestern stellte die Verwaltungsspitze vor, wie sie diese Aufgabe meistern will: mit 30 Standorten, die übers ganze Stadtgebiet verteilt sind.

16.12.2015

Von SABINE LOHR

An der Europastraße, die unten quer durchs Bild verläuft, wird – gegenüber der blauen Laufbahn des SV03 – ein Modulbau für Flüchtlinge erstellt. Etwas weiter in der Bildmitte, auf der Grünfläche rechts des Polizeihochhauses, könnte ein kleines Neubaugebiet entstehen, in das zunächst ebenfalls Flüchtlinge einziehen. Und ein Stückchen weiter rechts, neben den weißen Einfamilienhäusern in der Ludwig-Krapf-Straße, wird auch für Flüchtlinge gebaut.Luftbild: Grohe

An der Europastraße, die unten quer durchs Bild verläuft, wird – gegenüber der blauen Laufbahn des SV03 – ein Modulbau für Flüchtlinge erstellt. Etwas weiter in der Bildmitte, auf der Grünfläche rechts des Polizeihochhauses, könnte ein kleines Neubaugebiet entstehen, in das zunächst ebenfalls Flüchtlinge einziehen. Und ein Stückchen weiter rechts, neben den weißen Einfamilienhäusern in der Ludwig-Krapf-Straße, wird auch für Flüchtlinge gebaut.Luftbild: Grohe

Tübingen. Noch sind die meisten Flüchtlinge im Kreis Tübingen in der Erstaufnahmestelle in Ergenzingen, in der Kreissporthalle und in großen, meistens alten Gebäuden untergebracht und warten darauf, ob und wie ihr Asylantrag entschieden wird. Sehr viele werden bleiben. Sie bekommen als politische Flüchtlinge Asyl oder sie werden geduldet, weil in ihrer Heimat ein Bürgerkrieg tobt.

Sobald ein Flüchtling anerkannt ist und bleiben darf, verlässt er die Unterkunft des Landkreises. Dann ist es Aufgabe der Stadt, dafür zu sorgen, dass er nicht obdachlos ist. Es müssen also Wohnungen her – und zwar viele. „Es ist die Mega-Aufgabe der nächsten Jahre, die Flüchtlinge unterzubringen und zu integrieren“, sagte Oberbürgermeister Boris Palmer gestern bei einer Pressekonferenz der Verwaltung, bei der die Standorte fürs Flüchtlingswohnen vorgestellt wurden.

Es sind in der Regel kleine Standorte – die Verwaltung will vermeiden, dass sich Ghettos bilden. Nur wenn die Häuser, in denen Flüchtlinge leben, mitten in Wohngebieten liegen, sei Integration möglich, da sind sich Palmer, die Erste Bürgermeisterin Christine Arbogast und Baubürgermeister Cord Soehlke einig.

Einig sind sie sich auch darin, dass möglichst wenige Modulbauten erstellt werden sollen. Die sind zwar durchaus einige Jahre haltbar, haben aber bei Weitem nicht die Standards, die sich Tübingen wünscht. Dennoch wird es ohne Modulbauten nicht gehen, denn schon im Lauf des nächsten Jahres wird Wohnraum für Flüchtlinge gebraucht. Bis zum Sommer aber wird kein einziger Neubau fertig sein – allein schon des Planungsrechts wegen. Soehlke hat sich deswegen Holzmodule bei zwei Herstellern reservieren lassen. Die stapelbaren Fertigteile können schnell geliefert, aufgestellt und bezogen werden. Aufgebaut werden sollen sie in der Europastraße gegenüber des SV03-Stadions, auf dem SSC-Gelände in der Nordstadt und im Gewerbegebiet in der Schaffhausenstraße.

Lieber als derartige Fertigbauten sind der Verwaltung richtige Häuser. Und zwar solche, in die später Studierende einziehen können, Klinikpersonal, Wohnungsschein-Inhaber oder andere. Auch will die Stadt nicht selbst alle Neubauten schultern. „Wir haben das Land um Unterstützung gebeten“, sagte Soehlke. Auch Bauträger, Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und private Bauherren sind gefragt. Allerdings muss der Wohnraum bezahlbar sein – zwischen sieben und neun Euro pro Quadratmeter sollte die Miete nicht übersteigen. Ausdrücklich gewünscht ist zudem eine „Durchmischung“ – die Standorte sind deshalb fast alle in Wohnquartiere integriert, etwa im Französischen Viertel neben der Panzerhalle oder im Derendinger Feuerhägle, auf dem jetzigen Parkplatz gegenüber der Mathilde-Weber-Schule.

„Da werden wir sicher über Parkplätze reden müssen“, ahnt Soehlke. Mit Debatten rechnet er auch an den anderen Standorten – „es wird sicher nicht einfach“. Innerhalb kurzer Zeit so viele Bauprojekte zu stemmen, sei die größte Wohnbauoffensive Tübingens. Möglich sei sie nur in dieser Situation – in der es nicht nur viele Flüchtlinge gibt, sondern auch gewisse Erleichterungen im Baurecht, um sie unterzubringen.

Wichtig für Soehlke: „Wir haben kein einziges Projekt für sozialen Wohnungsbau umgewidmet für Flüchtlinge. Das läuft parallel, alle geplanten Sozialwohnungen werden gebaut.“

Der Gemeinderat, dem das Konzept und die Standorte nicht-öffentlich vorgestellt wurden, befand die Strategie „als die einzig richtige“, sagte Soehlke. „Der Gemeinderat trägt auch alle Standorte mit.“

Hauseigentümer werden noch einmal angeschrieben

Noch in dieser Woche verschickt die Stadtverwaltung rund 90 Briefe an Besitzer leerstehender Gebäude. Darin wird dringend darum gebeten, zu vermieten. „Nicht nur an Flüchtlinge“, betonte die Erste Bürgermeisterin Christine Arbogast, „wir brauchen Wohnraum auch für Studierende und für andere Bevölkerungsgruppen.“

Zudem stehe die Verwaltung in Kontakt mit dem Verein Haus und Grund, um auch einzelne leerstehende Wohnungen wieder dem Wohnungsmarkt zukommen zu lassen. Auch unter den rund 30 Standorten für Flüchtlingswohnen sind einige dabei, die Privatpersonen gehören. Um welche es sich dabei handelt, wollte Baubürgermeister Cord Soehlke noch nicht sagen: „Wir führen zur Zeit noch Gespräche mit den Besitzern.“

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Erstellt:
16.12.2015, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 56sec
zuletzt aktualisiert: 16.12.2015, 01:00 Uhr

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