Löwe, Bär oder Eiszeit-Schaf?

Spontane Welterbe-Wirkung auf die Tübinger Eiszeitkunst-Schau

Weil sechs Albhöhlen zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt wurden, erlebte das Museum Alte Kulturen im Schloss Hohentübingen am Wochenende einen Besucheransturm.

16.07.2017

Von Carolin Albers

Die Unesco-Fahne hängt bereits am Tübinger Schlossmuseum. Bild: C. Albers

Die Unesco-Fahne hängt bereits am Tübinger Schlossmuseum. Bild: C. Albers

Extra aus Pfullingen ist Georg Schäffer mit seinem Rad auf das Schloss Hohentübingen angereist. Um zu sehen, was es schon seit Jahren gibt: die Ausstellung im Schlossmuseum zur Eiszeitkunst. Und er war nicht der einzige, der dieses Wochenende dort unterwegs war. Weil sechs Höhlen auf der Schwäbischen Alb vor einer Woche zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt wurden, lockte das Museum mit freiem Eintritt und kostenlosen Führungen zur Eiszeitkunst. „Es war die Idee, dass wir das mit den Tübingern dieses Wochenende feiern“, sagt Museumsmitarbeiterin Christina Häfele.

Man könnte meinen, das Museum preist die Auszeichnung der Fundorte seiner Exponate groß an. Doch man merkt ihm den Stolz kaum an. Bei der Begrüßung zur Museumsführung erklärt Häfele den Anlass der kostenlosen Besichtigung und Führung. Klar fällt da dann auch das Wort Unesco-Weltkulturerbe. Doch danach? Kein einziges Mal spricht sie nochmal davon, sondern erzählt über die 40 000 Jahre alten Figuren, über den Fundort Vogelherdhöhle, über Zähne eines Höhlenbären. Trotz Fahne mit dem neuen Titel im Innenhof – Häfele geht eher bescheiden mit der Auszeichnung um.

Die Historikerin kennt die Vogelherd-Höhle schon lange, schließlich kommt sie von der Alb. Bei Sonntagsspaziergängen sei man stets auch an der Höhle vorbei- oder hineingelaufen, erzählt sie. „Das war nichts Besonderes, das war halt eine Höhle. Da war gar nichts, kein Schild, keine Absperrung und erst recht keine Imbissbude“, erinnert sich die Museumsmitarbeiterin. „Jeder hätte darin rumgraben können.“

Nach den ersten spektakulären Funden 1931 von Gustav Riek lag der Abraum der ersten Grabungen frei zugänglich vor der Höhle. Innerhalb von drei Monaten fanden damals die Ausgrabungen statt, erzählt Christina Häfele, heute würde man für die Größe der Vogelherd-Höhle zehn Jahre brauchen.

Die Idee von Archäologe Nicholas Conard und seinem Team war, im Nachhinein betrachtet, simpel: Jahrzehnte nach den ersten Ausgrabungen durchsuchten sie den Abraum und fanden Flöten, die Venus oder das Mammut: „Das lag 80 Jahre frei zugänglich unter nicht viel Erde. Ein riesiges Glück, dass das überhaupt noch da war“, sagt Christina Häfele und hält eine Kopie in die Höhe.

Bei anderen Eiszeitfiguren lässt sie ihr Publikum mitraten: „Löwe oder Bär?“, fragt sie bei einer nicht genau definierten Figur, den Zurufen nach gewinnt der Bär. „Irgendjemand hat mal gemein behauptet, es wäre ein Schaf“, sagt sie über eine andere Figur, in der Archäologen deutlich einen Löwen erkennen.

„Die Hauptfrage ist: Warum haben Menschen das gemacht?“, fragt Christina Häfele. „Und ich kann gleich zugeben, dass es keine Antwort darauf gibt.“ Schamanismus, Jagdkult, Naturdarstellungen. Es gibt verschiedene Meinungen, Ansätze und Spekulationen. „Und wenn man nicht weiß, wozu es da ist, ist es religiös“, besage ein Archäologenwitz.

„Neben Kunst und Religion haben wir hier die ältesten Musikinstrumente der Welt“, sagt Häfele und zeigt ein Flötenfragment. Man kann es aber nicht nur sehen, sondern auch hören. Im Hintergrund läuft Flötenmusik einer Musikerin, die in Steinzeitmanier eine Flöte baute und ihr nun Töne entlockt. Eine entspannte, angenehme Hintergrundmusik ist das nicht – eher erinnert es an klagende Rufe in einem Bergtal mit Echo. Nur dass das Echo hier die Dauerschleife der Flötenmusik ist.

Was die Flötenfragmente angeht, findet Kurt Reiter es im Museum in Blaubeuren teilweise schöner: „Da sieht man wirklich Flöten“. Kurt Reiter macht die Führung wegen der Unesco-Auszeichnung mit, sonst wäre er vermutlich nicht gekommen.

Agnes Jäck ist vor ein paar Wochen erst mit dem Fahrrad an der Vogelherd-Höhle vorbeigefahren, durch Zufall. Natürlich legte sie einen Besichtigungsstopp ein – da war es noch eine einfache Alb-Höhle und kein Weltkulturerbe. Ihr gefallen nicht nur die Eiszeitkunst-Figuren, sondern auch der Ausstellungsraum an sich. Dieser dunkle Raum mit seinen im Halbkreis verlaufenden Vitrinen, in denen die Fundstücke angestrahlt werden. „Schon allein die Darstellung ist mystisch und bezaubernd“, findet sie.

„Was die noch finden bei ihren Ausgrabungen, das ist faszinierend“, sagt Peter Kurz. Sein Freund Rudolf Ströbel, verstorbener Vor- und Frühgeschichtler, nahm ihn in den 1960er Jahren zu Gustav Riek, der 1931 die ersten großen Funde machte, mal nach Hause mit. Er meint sich zu erinnern, sogar eine der Figuren bei Gustav Riek zu Hause in der Hand gehabt zu haben vor gut 50 Jahren. „Das hat mich gar nicht großartig interessiert“, schildert Peter Kurz dieses Ereignis.

Auch wenn das Museum keine neue Ausstellung hat – die Auszeichnung der Unesco letztes Wochenende und die freien Eintrittspreise waren für viele Besucher Anlass genug, das Museum zu besuchen.

Und was ist der allgemeine Konsens der Besucher? Es gibt viele positive Rückmeldungen: spannend, toll, interessant. Auch Georg Schäffer meint, es habe sich gelohnt. Bevor er wieder nach Pfullingen aufbricht, gönnt er sich eine Kugel Eis. „Für 1,50 die Kugel!“, ruft er, jetzt ganz in der Tübinger Eis-Gegenwart, und radelt davon.

Museumsmitarbeiterin Christina Häfele zeigt Besucherinnen im Schlossmuseum eine Kopie der Venus, die in der nun als Unesco-Weltkulturerbe ausgezeichneten Vogelherdhöhle gefunden wurde.Bild: C. Albers

Museumsmitarbeiterin Christina Häfele zeigt Besucherinnen im Schlossmuseum eine Kopie der Venus, die in der nun als Unesco-Weltkulturerbe ausgezeichneten Vogelherdhöhle gefunden wurde.Bild: C. Albers

Viel Gedränge in den engen Museumsgängen

Vergangenen Mittwoch, am ersten Arbeitstag nach der Unesco-Auszeichnung, kamen deutlich mehr Besucher als sonst in das Museum. Am Wochenende drängten sich so viele Besucher in den engen Gängen, dass das Museumsteam spontan eine weitere Führung anbot. Statt normalerweise 60 Besuchern an Samstagen, waren es vergangenen Samstag über 250. Ob das an dem freien Eintritt mit Führung oder der Unesco-Auszeichnung lag, konnten die Museumsmitarbeiter nicht sagen. Vermutlich aber an beidem, wie Besucher angaben.

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Erstellt:
16.07.2017, 20:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 44sec
zuletzt aktualisiert: 16.07.2017, 20:00 Uhr

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