Wohnen

Sozialer Sprengstoff beim Mieten

Ein Drittel aller Mietwohnungen sollten öffentlich gefördert sein, fordert Thomas Keck vom Mieterbund. Durch die aktuelle Preisentwicklung drohe auch der untere Mittelstand zu verarmen.

27.07.2017

Von Susanne Mutschler

Dass die Problematik auf dem Mietwohnungsmarkt nicht das Zeug zu einem Wahlkampfthema hat, überrascht den SPD-Ortsvereinsvorsitzenden Arno Valin. Inzwischen habe die prekäre Lage in Tübingen, wo nach München die höchsten Mieten in Deutschland verlangt werden, Auswirkungen bis ins Steinlachtal.

Am Mittwoch hatte die Mössinger SPD ins Kultur-Café zum Themenabend mit Thomas Keck, Geschäftsführer des Mieterbundes Reutlingen/Tübingen eingeladen. Keck hält es für ein „beschämendes Alarmsignal“, dass ein prosperierendes Bundesland wie Baden-Württemberg ein „rasch wachsendes strukturelles Wohnungsdefizit“ hat. Allein 2016 habe das Land einen Einwohnerzuwachs von 100 000 Personen gehabt, für die er einen aktuellen Bedarf von 50 000 Wohnungen ansetzte. Dazu kommen die Geflüchteten, die nach ihren Anerkennungsverfahren eine dauerhafte Unterkunft brauchen. Tatsächlich seien 2016 aber zwei Prozent weniger Wohnungen fertiggestellt worden als noch im Vorjahr. Nur 33 000 neue Wohnungen konnten bezogen werden. Gleichzeitig verschwanden 6000 Wohnungen vom Markt.

Für weitere 4000 Wohnungen lief die Sozialbindung aus, so dass sie für Leute mit kleinerem Geldbeutel unerschwinglich wurden. Bei Neuvermietungen in Ballungszentren erreichten die Preissprünge bis zu 30 Prozent, so Keck: „Damit vertreibt man Familien aus den Innenstädten.“ Baden-Württemberg sei unter den Bundesländern das Schlusslicht im Sozialwohnungsbau. Nur 4 Prozent der 2016 in Deutschland gebauten 24 500 Sozialwohnungen entstanden hier.

Bestand schmilzt schnell ab

Ein Drittel aller Mietwohnungen sollte öffentlich gefördert sein, fordert Keck. Dass Baden-Württemberg bei einem Bedarf von rund 500 000 Sozialwohnungen derzeit nur 54 000 habe, ließ bei Keck „eine rote Laterne“ aufleuchten.

Dazu komme verschärfend „ein rasches Abschmelzen“ dieses Bestandes. Seit 2010 verschwanden 16 000 der geförderten Wohnungen vom Markt. Nur 1680 wurden neu gebaut. Ein vierköpfiger Haushalt mit einem Jahreseinkommen von 57 000 Euro habe Anspruch auf eine öffentlich geförderte Wohnung. Gerade der untere Mittelstand drohe durch die überhöhten Mietforderungen zu verarmen. Er befürchtete, dass der Konkurrenzkampf der Berechtigten um die geringe Anzahl günstiger Wohnungen „sozialen Brennstoff“ enthalten wird.

Keck empfiehlt, die Sozialbindung der Wohnungen auf 30 Jahre zu verlängern und die Einkommensschwelle für Anspruchsberechtigte zu erhöhen. Bei Mieterhöhungen nach drei Jahren sollte die „Kappungsgrenze“ grundsätzlich auf 15 Prozent reduziert werden. Als Grundproblem sieht er die dichte Besiedelung in süddeutschen Städten: „Es mangelt nicht an Investoren, sondern an bebaubarer Fläche“, warb er dafür, „human zu verdichten“ und „hier und da wieder ein Baugebiet auszuweisen“.

Von 2019 an werde die Föderalismusreform die Wohnungspolitik zur Ländersache machen, kündigte er an. Dann seien die Kommunen auf das angewiesen, was sie aus eigener Kraft erreichen könnten. Wohnungsbaugenossenschaften aufzubauen, die an das längst vergangene Prinzip der Gemeinnützigkeit anknüpfen, hielt er als Soforthilfe für zu langwierig. Das „Ludwigsburger Modell“ dagegen sei ein kommunale Maßgabe, um Einfluss auf den Mietwohnungsbau zu nehmen: Wird eine Fläche in Fußballfeldgröße veräußert, hat die Gemeinde das Vorkaufsrecht und kann damit die baurechtlichen Bedingungen festsetzen.

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Erstellt:
27.07.2017, 20:29 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 41sec
zuletzt aktualisiert: 27.07.2017, 20:29 Uhr

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