Zum Debattenbeitrag der Tierethikerin Friederike Schmitz

Sind Affenversuche notwendig?

Sind Versuche von Hirnforschern mit Rhesus-Affen, wie sie in Tübingen am Max-Planck-Institut und an der Universität gemacht werden, legitim? Oder vielmehr ethisch nicht begründbar? Letztere schrieb die Tierethikerin Friederike Schmitz in ihrem Debattenbeitrag für das SCHWÄBISCHE TAGBLATT im Vorfeld der großen Tierschutzdemo am Wochenende. Auch nach der Demo gehen die Tierversuche – und die Debatte – weiter. Hier ein Beitrag des Radioonkologen Martin Bleif.

23.12.2014

Von Martin Bleif

„Wer Tierversuche durchführt, macht das weder zum Vergnügen noch aus Denkfaulheit.“ Archivbild: Diezer/fotolia.com

„Wer Tierversuche durchführt, macht das weder zum Vergnügen noch aus Denkfaulheit.“ Archivbild: Diezer/fotolia.com

Tübingen. Die Tierethikerin Friederike Schmitz scheint es sich gerne etwas leichter zu machen. Bevor sie anfängt zu argumentieren, gestattet sie sich zunächst die Einsicht, dass über Affenversuche eigentlich gar nicht zu reden sei. Alles sei ohnehin längst klar, die Fakten lägen auf dem Tisch. Und ihr Resümee könnte auch kaum eindeutiger sein: Versuche mit Affen sind „ethisch nicht vertretbar“.

Dieser schneidige Ton ist erstaunlich, gerade aus dem Mund einer Philosophin, einer Profession, die doch sonst jedes Wort auf die Goldwaage legt und die sich der Tugend des Zweifelns verpflichtet hat. Eine Philosophin, die sich im Besitz der Wahrheit wähnt, das macht neugierig – und skeptisch zugleich. Zumal sie zu einem Thema spricht, dessen Implikationen ein gutes Stück weit erst einmal naturwissenschaftlicher Art sind – bevor dann über Ethik räsoniert werden könnte.

Ihre Schlussfolgerung stützt sich dann auch nicht auf ein Argument, sondern auf nichts als die normative Feststellung, dass „wir Menschen gar kein Recht haben, uns fühlende Wesen zu unseren eigenen Zwecken zunutze zu machen“.

An dieser Stelle – immerhin – gesteht sie „Diskussionsbedarf“ ein. Wohl wahr! Denn wieso sollten wir den privilegierten Status des „fühlenden Wesens“ nur Affen zubilligen und nicht auch Katzen, Hunden oder Mäusen (und so weiter). Dann aber wird das, was angeblich in Tierethikerkreisen „fraglos“ ist, von den meisten Menschen außerhalb dieses exklusiven Zirkels ganz anders gesehen, vor allem, wenn wir über die Grenzen des Tübinger Krähwinkels hinaus in die weite Welt schauen.

Wenn Friederike Schmitz für eine derart fundamentalistische Version von Tierethik eintritt, muss sie sich fragen lassen, warum sie ihre Energie nicht eher für die drei Milliarden Tiere einsetzt, die in deutschen Ställen vegetieren und jährlich auf deutschen Tischen landen, sondern, öffentlichkeitswirksam aber zeitraubend, ihre Zeit mit der tausendmal kleineren Gruppe der knapp drei Millionen Versuchstiere verschwendet.

Die eigentliche Absurdität einer derart rigorosen und scheinbar hermetischen Lesart von „Tierethik“ wird aber deutlich, wenn man bedenkt, dass die anderen (nicht-menschlichen) Tiere untereinander weder bereit noch in der Lage sind, ihren Mitgeschöpfen vergleichbaren Respekt entgegen zu bringen. So fallen allein den gut gefütterten Hauskatzen deutscher Tierfreunde vermutlich dreimal mehr Nager zum Opfer als der Wissenschaft. Zudem ist das Ende einer Maus unter den Pranken einer Katze sicher ungleich qualvoller als ein Mäusetod im Labor.

Um solchen unbequemen Einwänden zu entgehen, macht es sich Friederike Schmitz schon wieder zweifach einfach. Zum einen hilft sie sich mit der suggestiven Macht der Bilder und schreibt: „Wir haben doch alle die Bilder gesehen, wir haben doch alle gelesen, was mit den Affen am MPI geschieht.“ Nun, gelesen haben wir gar nichts! Nirgendwo wurde öffentlich über die Details der Experimente, die konkrete Fragestellung, den Ablauf und die Ziele berichtet. Im vermute auch, dass Frau Schmitz sie nicht kennt und die Tierversuchslabore, über die sie so kenntnisreich schreibt, noch nie in ihrem Leben betreten hat.

Wir haben Bilder gesehen, wie wir sie zu Dutzenden auch täglich in jeder großen neurochirurgischen Klinik dieser Republik sehen könnten, wenn wir Menschen fotografieren, die gerade aus dem Operationssaal kommen. Wie die Affen haben solche Menschen zunächst hässliche, oft blutverkrustete Narben, die aber rasch verheilen. Wie die Affen, haben auch Menschen nach einer Operation für einige Tage Schmerzen, die sich aber mit Schmerzmitteln meist recht ordentlichbehandeln lassen. Einige Wochen nach einer solchen Operation sind die Wunden bei Mensch wie Affe meist gut verheilt. Bei beiden allerdings, Affen wie Menschen, kann eine Operation auch einmal schief laufen und sich ein Implantat infizieren.

Der einzige Unterschied liegt in dem Zweck, den die Operation verfolgt. Menschen dürfen ausschließlich dann operiert werden, wenn eine „rechtfertigende Indikation“ – eine konkrete Gefahr, die das Risiko der OP übersteigt – vorliegt und wenn sie mit dem Eingriff einverstanden sind.

Das sind die Affen sicher nicht.

Hinter jedem Tierversuch steht ein Rätsel, das Wissenschaftler lösen wollen. Nur ist das Lösen solcher Rätsel kein Glasperlenspiel einer Handvoll selbstverliebter Nerds, sondern einer der Gründe dafür, warum sich unsere Lebenserwartung in den letzten hundert Jahren mehr als verdoppelt hat, während sie die 20 000 Jahre davor weitgehend stagnierte.

Eine der Erklärungen für unser langes Leben sind die vielen bereits gelösten Rätsel. Manchmal führt ein Tierversuch auf direktem Weg zur Therapie einer Krankheit, wie bei Emil von Behrings Anti-Diphterie-Seren, die Tausenden von Kindern das Leben retteten. Öfter aber sammeln sich die Erkenntnisse aus Tierversuchen aber nach und nach an wie ein fruchtbarer Humus, auf dem erst Jahrzehnte später medizinisch verwertbare Früchte wachsen, Früchte von denen zu Zeiten der ersten Sedimentschichten niemand auch nur geträumt hätte.

Nun könnten wir natürlich sagen, jetzt reicht es. Die verbliebenen Wüsten der Ahnungslosigkeit werden nicht mehr beackert. Denn daran ist kein Zweifel: Wir instrumentalisieren Tiere, um unser Wissen über die Welt zu erweitern. Nur tun wir das auch außerhalb der Labors, aus weit profaneren Motiven, in weit stärkerem Masse und mit einem deutlich ungünstigeren „Kosten-Nutzen-Verhältnis“.

In dieser Situation ausgerechnet den Menschen Verzicht zu predigen, die an einer der vielen noch kaum oder gar nicht behandelbaren Krankheiten leiden oder leiden werden – viele davon Erkrankungen des Gehirns – das ist, bei aller Tierliebe, doch ziemlich unangenehm.

Und daher macht es sich Frau Schmitz schon wieder einfach. Sie behauptet schlicht, dass der medizinische Nutzen „bekanntlich mehr als zweifelhaft sei“. Schon wieder eine plakative Behauptung, die sie durch nichts unterfüttert und aus den oben genannten Gründen auch vollkommen sinnfrei ist. Vermutlich hat sie auch keine der Publikationen aus dem MPI je gelesen. Und sie erklärt weiter fröhlich: „Wir sind überzeugt, dass eine tierversuchsfreie Forschung möglich und auch für den Menschen besser ist.“ Wer hinter diesem ominösen „Wir“ steckt bleibt genauso offen, wie der Grund für ihre Überzeugung.

Eine wirksame Forschungsstrategie ist keine Frage des Glaubens. Niemand hindert Frau Schmitz daran, sich einen konkreten Tierversuchsantrag zur Hand zunehmen, ihn durchzulesen und danach eine gangbare Alternative vorzuschlagen. Die Wissenschaftler wären ihr dankbar. Denn Tierversuche sind aufwändig, kompliziert und teuer; und das gilt ganz besonders für Versuche mit Affen.

Wer Tierversuche durchführt, macht das weder zum Vergnügen, noch aus Denkfaulheit oder weil das der billigste Weg zur Erkenntnis ist. Auch in der Wissenschaft gilt, so einfach wie möglich, so kompliziert wie nötig. Schon aus Gründen der Versuchsökonomie weicht jeder gerne auf Alternativen aus, dort, wo es welche gibt!

Ich fürchte allerdings, wir werden vergeblich auf die Ratschläge von Frau Schmitz warten. Wer Wissenschaftlern rät, wie sie zu forschen haben, der muss sich in der Wissenschaft auskennen. Sonst bleibt der Ratschlag – so wie der ganze Artikel – eine Übung in Pippi-Langstrumpf-Philosophie, die nicht mehr das eigene Denken infrage stellt, sondern die Welt dort verbiegt, wo sie nicht mehr zu einem offenkundig schiefen Argument passt.

Der Autor Martin Bleif ist Radioonkologe, Krebsexperte und Autor des bei Klett-Cotta erschienenen Buchs „Krebs. Die unsterbliche Krankheit“.

Martin Bleif Archivbild: Sommer

Martin Bleif Archivbild: Sommer

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Erstellt:
23.12.2014, 00:01 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 36sec
zuletzt aktualisiert: 23.12.2014, 00:01 Uhr

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